11.7.15

Chinesen im Kaufrausch

Wenn überhaupt möglich, ist es heute noch heißer als gestern, die Luft im glasüberdachten Innenhof scheint zu stehen, als wir gegen halb zehn beim Frühstück sitzen. Durch das späte Zubettgehen schläft Titus nun auch meistens bis kurz vor neun, so dass wir immer später in den Tag starten können. Heute lassen wir's aber eh gemütlich angehen, trinken noch eine zweite Tasse Kaffee (immerhin Filterkaffee und kein Instantkaffee mehr, aber von richtig gutem Kaffee noch meilenweit entfernt) und verabreichen Titus unter großem Protest Augentropfen. Durch den Staub, seinen Schnupfen oder die Zugluft hat er sich eine leichte Augenentzündung eingefangen, die aber dank unserer gut ausgestattenen Reiseapotheke schon wieder am Abklingen ist.

Lange lassen wir uns von Wirtin Angela die verschiedenen Shoppingmöglichkeiten in der näheren und weiteren Umgebung erklären, wir haben noch lange nicht genug eingekauft, und sie ist ein Quell an guten Tipps, die uns stets mit Stadtplänen sowie handgeschriebenen Zetteln mit Namen von Geschäften und Haltestellen auf Chinesisch und Englisch versorgt, mit denen wir bislang wirklich alles problemlos gefunden haben - kein Vergleich zu unserem ersten Pekingbesuch und dem ständigen Umherirren!

Nun schickt sie uns also zum Tianyi-Market, in dem wohl nur Einheimische einkaufen würden, keine Touristen, und der "nur" wenige Busstationen entfernt ist. Wieder einmal unterschätzten wir die Entfernungen in Peking, für die 7 Stationen brauchen wir gut eine halbe Stunde in einem leider unklimatisieren Bus, und Titus ist bereits nach wenigen Minuten patschnass geschwitzt und quengelt zurecht. Endlich sind wir da - und staunen nicht schlecht, als wir an einer achtspurigen Straße vor einem riesigen Einkaufszentrum stehen, dass außen aufs Allerliebste mit Weihnachtsschmuck dekoriert ist.
Innen erstreckt es sich über insgesamt 6 Stockwerke, ein jedes so weitläuftig wie in einem großen Möbelhaus, und ausschließlich aus 2x2m großen EInzelgeschäften bestehend. Die Geschäfte sind thematisch geordnet, es gibt ganze Etagen nur mit Schmuck, Haarbändern und sonstigem "Mädchenkram", unten im Untergeschoss finden sich Haushaltswaren, Gartengeräte, Möbel und Drogerieartikel, dazwischen Schreibwaren, Unterwäsche, Handyzubehör, Lampen - kurz: es gibt nichts, was es nicht gibt, und wir müssen uns sehr bremsen, hier nicht sinnloses Zeugs einzukaufen, nur weil man es hier eben kaufen kann und es dazu noch so günstig ist! Die Chinesen sind hier ganz im Gegensatz in echtem Kaufrausch, riesige Plastiksäcke werden vollgestopft, ganze Wohnungseinrichten werden erstanden - und außer uns ist weit und breit keine Langnase in Sicht.

Einzig in der Spielwarenetage verbleiben wir länger, es gibt ganze Stände, die nur fantastisch gut gefälschte Legoprodukte anbieten, ganze Feuerwehrstationen, Flugzeugträger oder Duplo-Eisenbahnen kann man hier für wenig Geld kaufen, und wir bedauern fast, dass Titus noch zu klein dafür ist. Es gibt Planschbecken in jeder Größe und Form, Kuscheltiere, laut blinkendes und dudelndes Plastikspielzeug, Sticker, Wasserpistolen, und Titus sitzt sichtlich überfordert im Kinderwagen.
Wir erstehen zwei Holzpuzzle, an das meiste trauen wir uns nicht heran, da wir vermuten, dass der Plastikram nicht auf seine Auswirkungen auf die Kindergesundheit überprüft wurde. Nur bei dem Stand mit den Kinder-Elekroautos und Bobbycar-Fakes verharren wir recht lange, und Norman lässt sich nur sehr widerstrebend und nach langem Nachdenken überzeugen, dass wir hier und jetzt keinen Kinder-Mercedes-SLK-Bobbycar-Verschnitt in schnittigem Rot für Titus kaufen, da sich dieser trotz unschlagbarem Preis nicht im Flugzeug nach Hause transportieren lässt.

Die Mittagszeit naht, und da die Chinesen diesbezüglich ja wie schon erwähnt sehr rigoros sind, folgen wir den vielen Hungrigen einfach durch die unübersichtliche Ansammlung der winzigen Geschäfte und landen schließlich in einem unfassbar lauten Essensbereich, an dessen Wänden sich Imbissstand an Imbisstand reiht. Norman treibt tatsächlich ein vegetarisches Gericht auf, das mit 2 Euro sehr günstig und auch wirklich lecker ist, es gibt Reis mit Auberginen-Kartoffel-Paprika-Ingwer-Sauce, und auch Titus ist mit den Dumplings von gestern abend zufrieden.

Nachdem wir alle Stockwerke abgeklappert haben und außer besagten Puzzles und einer Handvoll Ohrsteckern nichts erstanden haben, fahren wir zurück in unser Domizil, um Titus ein ruhiges Mittagsschläfchen zu ermöglichen - zwar haben wir nicht viel eingekauft, doch es hat Spaß gemacht, dieses unfassbare riesige Warenangebot zu sehen, die Wirtschaft in China scheint tatsächlich zu boomen! Allerdings geht uns die leider immer nur halbwegs "barrierefreundliche" Bauweise der U-Bahnhöfe zunehmend auf die Nerven, aus unerklärlichen Gründen kommt oft erst eine lange Rolltreppe abwärts, dann müssen nach einem Tunnel zehn oder mehr Stufen überwunden werden, es folgt wieder ein langer Gang mit diversen kleinen Treppen, und dann führt eine letzte lange Rolltreppe abwärts bis zum Gleis. Wenn man Glück hat, fahren die Rolltreppen in die richtige Richtung, wenn nicht, heißt es laufen und v.a. den Kinderwagen tragen. Dass die lauffaulen Chinesen, die, sobald eine Rolltreppe in Reichweite ist, auf gar keinen Fall die Treppe benutzen und lieber für die Rolltreppennutzung anstehen, hier noch nicht gemeutert haben, ist unerklärlich.

Den Nachmittag verbringen wir im halbwegs kühlen Hotelzimmer, draußen hat es wieder deutlich über 40 Grad, ohne dass die Sonne durch die staubige Luft zu sehen ist. Wir wagen uns erst wieder gegen halb sechs nach draußen, so langsam kann man sich dort wenigstens einigermaßen aufhalten, und reihen uns in die Menschenmassen ein, die durch unser Hutongviertel und durch Shishahai ziehen. In den unzähligen kleinen Geschäften kaufen wir ein paar Souvenirs und schlendern herum, Norman ist schon völlig angepasst und trägt wie ein echter Chinese bauchfrei. Das ist zwar wahrscheinlich etwas angenehmer, doch suchen wir trotzdem recht schnell ein Restaurant auf, um der heißen Luft zu entfliehen. Diesmal speisen wir vietnamesisch, das Essen ist wunderbar, es gibt problemlos vegetarische Varianten, auch Titus ist zufrieden mit Reis, Frühlingsrollen und Gemüse, nur der Service ist leider unterirdisch. Komischerweise ist uns das in China eigentlich noch kaum passiert, obwohl ich schon einiges über die unmotivierten chinesischen Kellner gelesen habe. Na, zumindest steht im Lokal ein großes Aquarium mit riesigen Goldfischen, die für Titus hochinteressant sind, auch wenn er sich ein bisschen gruselt vor den Fischen, die da auf seiner Augenhöhe herumschwimmen.

Als wir das Lokal verlassen, dämmert es gerade erst, es sind noch mehr Menschen unterwegs rund um den See, aus allen Bars und Restaurants schallt laute Musik, dazu gesellen sich die vielen Livemusiker auf der Straße, und direkt am See haben sich einige chinesische Senioren zu einer Runde Karaoke zusammengefunden, komplett ausgestattet mit Bildschirm, Verstärker und Mikrophon.
Titus besteht, im Kinderwagen sitzend, darauf, Händchen zu halten, seit wir im trubeligen Peking sind, fordert er das bei sovielen Menschen häufig ein. Wir suchen also schleunigst ein ruhigeres Gässchen auf; die Sommernacht ist mehr als lau, und da es noch gar nicht so spät ist, versuchen wir, noch ein Getränk in einer Bar zu ergattern. Das gestaltet sich aber als schwieriger als gedacht, in der ersten Kneipe ist kein Platz mehr frei, außerdem wird dort geraucht, und in der zweiten Bar bedient man uns nicht, obwohl wir mindestens 20 Minuten warten, Titus mit den Kellner und Gästen schäkert und wir also durchaus zur Kenntnis genommen werden.

Wir geben auf, holen beim Kiosk nebenan halt noch zwei Dosen Bier und kehren zurück in unser Zimmer, soviel also zum Pekinger Nachtleben...

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