1.7.15

An der Chinesischen Mauer

Nun hat mich eine leichte Schnupfenattacke erwischt, wahrscheinlich liegt's an den vielen Klimaanlagen hier. Deshalb bin ich nicht ganz fit, als wir erst spät am Abreisetag aufwachen - wie immer natürlich. Schnell wird gepackt, gefrühstückt, wir verabschieden uns von den Goldfischen, und schon steht unser Fahrer in der Tür. Da der gute Mann, Mr. Ma, kein Wort Englisch spricht, bitten wir noch die Hotelangestellte, die genauen Details zur Hin- und Rückfahrt in unser Ferienhaus abzuklären.
Schon sitzen wir im Minivan und verlassen Peking in nordöstlicher Richtung. Nach dem Regen gestern ist der Himmel heute zum ersten Mal stellenweise aufgeklart und die Sicht ist erstaunlich gut, wir erkennen nun endlich die vielen Wolkenkratzer und sehen sogar die Berge rund um die Stadt. Der Verkehr ist zum Glück nicht allzu schlimm, aber die Stadt ist riesig, deshalb erreichen wir erst nach fast einer dreiviertel Stunde Fahrt die Autobahn.

Es ist herrlich, endlich wieder auf vernünftigen Straßen unterwegs zu sein, ohne Geholper und Gerüttel. So kommen wir auch gut voran und fahren bald von der Autobahn ab, die Luft wird von Kilometer zu Kilometer besser und schon ist überall strahlend blauer Himmel zu sehen. Die Landschaft wird merklich bergiger, ein bisschen sieht's aus wie bei uns im Voralpenland, alles ist dicht begrünt. Wir fahren durch kleine Dörfer, entlang an Ferienresorts, Picknickplätzen, und immer wieder erhaschen wir einen Blick auf Überreste der Chinesischen Mauer hoch oben auf den Bergrücken. Es wird deutlich, dass hier offenbar alle Pekinger ihre Wochenenden verbringen, doch heute am Dienstag ist außer uns kein Mensch zu sehen. Die zig Parkplätze in Mutianyu, einem der bekanntesten Abschnitte der Chinesischen Mauer, sind verlassen.

Nach knapp zweistündiger Fahrt hält unserer Fahrer in einem kleinen Dörfchen an und begleitet uns bis zu einem im typischen chinesischen Stil erbauten Ziegelhäuschen, hier werden wir die nächsten vier Tage verbringen. Es dauert ein wenig, bis wir uns eingerichtet haben, wir richten uns einen Schlafplatz mit vielen Matratzen und Decken auf den Kang-Liegen (gemauerte Ofenbetten) ein, erkunden den Garten und entdecken dort viel Spielzeug, u.a. eine Rutsche, eine Schaukel, ein Planschbecken und ein Bällebad. Offenbar haben unsere Vermieter auch ein kleines Kind...

Titus ist total übermüdet, also legen wir ihn erst einmal im bereit stehenden Kinderbett ab, und Norman und ich sitzen derweil am Gartentisch, lesen und genießen die Aussicht von der Dachterrasse auf ein paar Abschnitte der Chinesischen Mauer, denn wir sind hier direkt umgeben von deren noch unrestaurierten Abschnitten und haben ein herrliches Bergpanorama vor uns. Als Titus aufwacht, wird erst einmal gebadet, denn es ist sehr heiß draußen.
Als es gegen 18 Uhr endlich ein wenig abkühlt, wagen wir einen ersten Spaziergang durch das Dorf, bei einem Telefonat mit der Vermieterin konnten wir in Erfahrung bringen, wo wir Lebensmittel und Restaurants finden. Das Dorf ist winzig, überall sitzen die Bewohner an der einzigen staubigen Straße und grüßen freundlich. Am Ende der Straße befindet sich dann zu unserer großen Freude ein direkter Zugang zu einem See, Wasserfällen und ein Wanderweg hin zur großen Mauer, den werden wir morgen in Angriff nehmen. Restaurants finden wir zwar keine, doch verstehen wir irgendwann, dass man hier offenbar einfach bei den Bewohnern einkehrt, die dann für einen kochen, die Häuser, in denen das möglich ist, haben entsprechende Schilder am Eingang.

Nun gut, das probieren wir am Abend also aus. Ich bin sehr skeptisch und bewaffne mich mit einer chinesischen Übersetzung des Satzes "Ich bin Vegetarierin", den ich der Hausherrin dann gleich unter die Nase halte, als wir uns für ein recht vertrauenerweckend aussehendes "Lokal" entschieden haben. Im Innenhof stehen einige Tische, doch wir sind die einzigen Gäste, und nach kurzem Nachdenken eilt die Dame in die Küche und bald hört man es von dort brutzeln.
Ich bin sehr erleichtert, als das Essen dann vor uns steht: es gibt ein Omelett mit Tomaten und einen großen Teller voll kurz angebratenem, wie Spaghetti geschnittenen Gemüse, alles lecker gewürzt, und so lassen wir drei es uns schmecken. Und günstig ist es obendrein!

Kaum sind wir fertig, eilt unsere Gastgeberin schon mit einer Horde anderer älterer Dorfbewohnerinnen und ausgestattet mit einem riesigen Ghettoblaster hinaus Richtung Dorfplatz. Wir sind neugierig und spazieren hinterher. Zu lauter Diskomusik studieren die Damen dort ein Art "Fächertanz" ein, kritisch begutachtet von den restlichen Dörflern, das scheint hier das Highlight der Dienstagabende zu sein. Titus steht lässig daneben und wippt im Takt der Musik mit, das entzückt die Tanzenden natürlich ungemein.
Gegen 20 Uhr verschwindet die Sonne hinter den Bergen und es wird merklich kühler, wir treten den Heimweg an, während die Zikaden laut zirpen. Es ist wunderschön hier draußen, ruhig, ländlich, grün, bergig, so schön hätten wir es gar nicht erwartet und sind umso begeisterter.
Leider plagt mich abends die Schnupfennase sehr, so dass ich gemeinsam mit Titus zu Bett gehe, das Feierabendgetränk im Garten verschiebe ich lieber auf morgen...

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