9.7.15

Endlich in der Verbotenen Stadt

Die Nacht war für uns alle unruhig, ohne Klimaanlage war's zu warm, mit Klimaanlage war's zu laut, Titus wollte unbedingt mit in unserem Bett schlafen (und das möglichst quer), und so richtig ausgeschlafen sind wir alle nicht, als wir beim Frühstück sitzen. Titus scheint inzwischen bereits vollkommen chinesisch assimiliert zu sein, er verweigert sein Müsli und möchte ausschließlich den Reis mit Gemüse, der auf dem Tisch bereit steht, denn hier im "Mao'er 28" bekommen wir ein echt chinesischen Frühstück serviert, mit eingelegtem Gemüse und Reis.

Nach dem Frühstück trennen sich unsere Wege, denn ich möchte mir nun endlich auch die Verbotene Stadt anschauen, und mache mich auf dem Weg zur Bushaltestelle. Der 5er-Bus ist bereits beim Einsteigen proppenvoll, doch an jeder folgenden Haltestelle quetschen sich noch mehr Menschen hinein, angefeuert von den lauten Rufen der beiden Fahrkartenkontrolleure in der Busmitte, die in rauhem Umgangston dafür sorgen, dass auch jeder Millimeter Platz genutzt wird. Zum Glück sind die Chinesen im Durchschnitt so groß wie ich, so lässt es sich halbwegs aushalten. Als wir uns endlich meiner Zielhaltestelle nähern, fahre ich schon mal die Ellbogen aus, anders ist kein Durchkommen, und nur so schaffe ich es, rechtzeitig aus dem Bus auszusteigen - denn der wartet nicht, bis alle soweit sind, sondern setzt exakt nach Fahrplan seine Fahrt fort.
Zum Eingang der Verbotenen Stadt ist es noch ein zehnminütiger Fußmarsch, bislang sind nicht allzu viele Leute unterwegs, und ich freue mich auf eine hoffentlich halbwegs ruhige Besichtigung. Doch als ich endlich den großen Vorplatz erreiche, an dem sich die 30 Ticketschalter befinden, werde ich eines Besseren belehrt: an einem ganz gewöhnlichen Donnerstag vormittag befinden sich hier außer mir etwa die Hälfte aller Pekinger, es ist deutlich mehr los als am Samstag vor zwei Wochen, und ich stehe allein 40 Minuten an, bis ich überhaupt in Besitz einer Eintrittskarte bin (diesmal habe ich sogar meinen Pass dabei!)!
Endlich betrete ich gegen halb zwölf die ehemalige Kaiserresidenz durch das Südtor, außer mir befinden sich geschätzt noch 100.000 andere Besucher dort, doch ich rüste mich mit einem Audioguide aus und lasse mich von dem Lärmpegel der chinesischen Reisegruppen und Familien und der Außentemperatur von weit über 30 Grad nicht stören.
Die Verbotene Stadt besteht aus zig einzelnen Palästen und Häusern mit insgesamt 8.700 Räumen und riesigen Innenhöfen, ist unüberschaubar groß - und leider auch ziemlich nichtssagend. Nirgendwo findet sich ein Zeichen dafür, wie die Bewohner dieser Anlage gelebt haben, wie der Alltag in diesem von einer 10 Meter hohen Mauer und einem Wassergraben umgebenen Areal ausgesehen hat. Alles steht leer, und zumindest von außen gleichen sich die vielen Paläste, die sich schier endlos aneinander reihen. Der Audioguide trägt außer Jahreszahlen und Kaisernamen auch nicht viel Informatives vor, und so begnüge ich mich damit, ein bisschen ziellos herumzuschlendern und gleichzeitig die Besucher zu beobachten. An den vielen Treppenauf- und abgängen und den durch Tore verursachten Engstellen bilden sich stets Menschentrauben, Chinesen haben das Prinzip des Vortritts nicht erfunden, sondern es wollen immer alle gleichzeitig durchgehen. Außerdem scheuen die Einheimischen ja das Sonnenlicht, die Frauen tragen selbst bei diesen Temperaturen blickdichte Strumpfhosen, Armstulpen und oft sogar Handschuhe, und obligatorisch bei Männlein und Weiblein ist immer ein Regen- bzw. Sonnenschirm. Dieser wird ungerührt jedem Entgegenkommenden oder Überholenden auf den Kopf gerammt, man muss um sein Augenlicht fürchten, wenn man diese "Waffen" nicht permanent im Auge behält. Es herrscht also ein heilloses Durcheinander in die dieser einst so hermetisch abgeriegelten Stadt.
Selbst der sicherlich sehr schön angelegte kaiserliche Garten an der Nordseite ist vor lauter Menschen kaum zu erkennen, vor jedem Baum, Strauch oder Felsen stehen 50 Chinesen und posen mit Selfiesticks. Nach knapp zwei Stunden habe ich genug und verlasse die Kaiserstadt durch das Nordtor, ein wenig bedauernd, denn nach Filmen wie "Der letzte Kaiser" habe ich mir hier mehr Atmoshäre erwartet...

Ich spaziere ein paar hundert Meter weiter bis zum Beihai-Park, dort treffe ich auf Norman und Titus, die sich einen gemütlichen Vormittag im Park gemacht haben. Norman ist allerdings auch ein wenig entnervt von den vielen, vielen Paparazzi, die es nicht lassen können, Titus selbst beim Essen zu fotografieren und ihn ständig anzufassen oder abzulenken. Der kleine Kerl ist dementsprechend müde und schläft fast sofort ein, nachdem wir ihn im Kinderwagen ein wenig hinter Mullwindeln und Sonnenschutz versteckt haben.
Da es draußen allmählich in der Mittagshitze unerträglich wird, beschließen wir, ein nächste Shoppingtour zu starten, und fahren mit der U-Bahn bis zum sog. "Hongqiao" bzw. "Pearl Market". Dieser "fake market" ist deutlich touristischer als der letzte, den wir besucht haben, die Händler sind deutlich versierter im Handeln mit Touristen, außer uns sind noch viele, viele "Langnasen" unterwegs. Nach einem ersten vorsichtigen Rundgang kommen wir in Shoppinglaune, bald schon haben wir einen Ruf weg, besonders "tough" zu verhandeln, und hauen in knapp zwei Stunden gut 150 Euro auf den Kopf. Dafür erstehen wir unter anderem einen großen "Rimowa"-Koffer, zwei "Longchamp"-Handtaschen, zwei Paar Chucks, diverse Markenshirts und -pullis und sogar eine Rolex Oyster Armbanduhr!

Dann sind wir pleite und auch erledigt, das ständige Feilschen ist anstrengend, zum Glück schafft Titus es immer, die Verkäufer noch um den Finger zu wickeln... Alle Einkäufe packen wir uns den neuen Koffer und bugsieren alles zurück ins Hotel. Als wir aus der U-Bahn aussteigen und in unser Viertel einbiegen, herrscht dort ein Getümmel in den engen Gässchen, dass kaum ein Durchkommen ist. Vor den Bars und Restaurants hängen Trauben von Menschen, überall schallt Musik aus Lautsprechern, und dabei ist noch nicht einmal Feierabendzeit! Es gibt offenbar einfach viel zu viele Menschen hier... Kurz verschnaufen wir in der Ruhe unseres gemütlichen Hotels, machen uns kurz frisch und starten schon wieder los, es dämmert schon und wir sind hungrig.

Eine kurze Busfahrt entfernt finden wir das uns von unserer Wirtin empfohlene Restaurant "Sijiminfu", hier serviert man Pekingente, und wenigstens einmal will Norman diese Spezialität probieren. Auch hier werden wir erst einmal enttäuscht und müssen eine Wartenummer ziehen; immerhin dürfen wir drinnen in einem eigenen Wartebereich Platz nehmen, bekommen ein bisschen was zu knabbern und Limonade kostenlos. In dem mehrstöckigen, vollbesetzten Lokal herrscht ein stetiges Kommen und Gehen, und in den fast 1 1/2 Stunden, die wir auf unseren Tisch warten müssen, wir Ente um Ente aus der Küche an uns vorbeigetragen.
Wir bespaßen Titus und halten ihn mit Krabbenchips und Litschis bei Laune, und so ist er immer noch fröhlich, als wir um 20:30 Uhr endlich etwas zu essen bekommen. Ein Koch zerlegt eine halbe gebratene Ente gekonnt an unserem Tisch, und netter Kellner zeigt Norman, wie er die tranchierten Entenstückchen garniert mit Sojasauce, eingelegtem Gemüse und anderen Zutaten in einen kleinen Pfannkuchen wickeln soll, alles natürlich mit Stäbchen!

Ich bin mit meiner Speisenauswahl, gebratenem Reis und Tofu, sehr zufrieden, Titus ebenfalls, und erst gegen Ende des Mahls entdecken wir, dass es die Chinesen selbst in diesen beiden vegetarischen Gerichten nicht ganz so genau nehmen: im Reis finden wir winzige Stückchen Shrimps, und unter den Tofuscheiben hat sich ein wenig Entenfleisch versteckt... Egal, es war wirklich lecker und auch gar nicht soooo teuer, wie befürchtet. Als wir das Restaurant gegen halb zehn verlassen, warten immer noch einige Leute auf einen Tisch.

Wir sind schnell mit dem Bus zurück in unserem Hutongviertel, Titus ist todmüde und wird schnell ins Bett geschickt, wir sind pappsatt und schaffen es nicht einmal mehr auf ein kühles Bier in den Garten...

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