12.7.15

Die große Hitze

Heute knackt Peking die 43-Grad-Grenze, schon morgens steht die Luft in unserem Domizil, und wir diskutieren lange, was wir an diesem heißen Tag unternehmen sollen. Himmelspalast und Lama-Tempel scheiden aus, da sie mit langen Wegen verbunden sind. Nach langem Hin und Her entscheiden wir uns für einen Museumsbesuch.
Als wir den Bus Nr. 5 Richtung Tian'anmen-Platz besteigen, ist dieser noch halbwegs leer, doch an jeder Haltestelle drängen immer mehr Menschen in das unklimatisierte Fahrzeug, und bald stehen alle wie die Ölsardinen im Gang. Titus ist schon wieder schweißgebadet, und die Fahrt scheint uns auch wegen des dichten Verkehrs schier endlos zu sein. Aus irgendwelchen Gründen hält der Bus auch nicht wie erwartet direkt vor dem Nationalmuseum, sondern fährt unbeeindruckt eine Haltestelle weiter, wir müssen also nun doch gut 10 Minuten durch die brütende Hitze zurücklaufen, immerzu unterbrochen von Trinkpausen für Titus und uns.
So ist es schon fast 12 Uhr, als wir endlich das riesige Museumsgebäude erreichen. Und wieder machen uns die chinesischen Schulferien einen Strich durch die Rechnung: vor dem Museum stehen hunderte chinesische Familien in der prallen Sonne Schlange vor dem Einlass. Ohne zu zögern begraben wir unsere Plan und suchen schleunigst die nächste U-Bahn-Station auf, um von dort aus in nächstbeste klimatisierte Kaufhaus zu fahren und dort in Ruhe und bei angenehmeren Temperaturen eine Mittagspause einzulegen.
Ganz profan kehren wir dort in einen Starbucks ein, Titus bekommt Reis und Gemüse und wir lassen uns Eiskaffee und Kuchen schmecken und kühlen ein bisschen ab. Da sich das rettende Cafe direkt am Beginn der Wangfujang-Straße, der längsten Einkaufsmeile Pekings, befindet, überlegen wir, dort noch entlang zu schlendern. Norman betritt probeweise die Straße, kehrt auf dem Absatz um und erklärt einen Spaziergang kategorisch für ausgeschlossen. Also nehmen wir die U-Bahn und fahren ein paar Stationen bis zur Station Dongsi. Dort hat unsere Hotelwirtin uns einen Schneider empfohlen, und so suchen wir wieder einmal ausgerüstet mit einem handgeschriebenen Zettel in der Hand im Laufschritt um die entsprechenden Straßenecke das besagte Geschäft.

Auch diesmal werden wir fündig und betreten eine große Halle, vollgestopft mit Stoffrollen aller Arten, dazwischen stehen Zuschnitttresen, Näherinnen sitzen an handbetriebenen Nähmaschinen und unzählige Verkäufer beraten die vielen Kunden. Wir entschließen uns recht spontan, uns hier einzukleiden, ich suche mir ein typisch chinesisches Kleid in dunkelblauem Stoff aus, Norman einen hellgrauen Anzug, und für Titus wird eine Anzughose gekürzt. Wir werden eingehend von mehreren Verkäufern gleichzeitig beraten und vermessen, wobei nur eine Dame davon Englisch spricht. Alles macht einen höchst professionellen Eindruck, wir werden uns im Preis einig, und bereits am nächsten Abend soll alles direkt in unsere Unterkunft geliefert werden.
Kaum eine halbe Stunde später verlassen wir das Geschäft bereits wieder, Titus wird von der gesamten Belegschaft winkend verabschiedet. Schnell hüpfe ich noch in den großen Wu-Mart-Supermarkt hinein, eine chinesische Variante von Wal-Mart, besorge ein paar Kleinigkeiten, während Titus sich schon ins Land der Träume verabschiedet hat.

Den restlichen Nachmittag verbringen wir faul in unserer Unterkunft, und während wir alle ein Nickerchen halten und Titus danach in der Badewanne abkühlen darf, regnet es draußen anscheinend, denn als wir gegen 18 Uhr wieder aufbrechen, sind die Straßen nass. Der erfrischende kleine Schauer hat dafür gesorgt, dass zum ersten Mal seit Tagen tatsächlich kurz die Sonne zu sehen ist und die Außentemperatur jetzt nur noch 39 Grad beträgt, das hält aber die Chinesinnen nicht davon ab, immer noch mit Feinstrumpfhosen oder zumindest mit hautfarbenen Söckchen zu ihren knappen Hotpants herumzulaufen, während die Herren Jeans tragen.

Auf dem Weg zur U-Bahn-Station werden wir wieder einmal fast von den lautlos heranschleichenden Elektrorollern überfahren, die auch nach Einbruch der Dunkelheit stets ohne Licht fahren, um Strom zu sparen. Fahrräder gibt es auch in Peking noch mehr als genug, doch die kleinen, leisen und sicherlich günstigen Roller laufen dem Radl so langsam den Rang ab. Unvorstellbar, wie laut es hier gewesen sein muss, als hier überall durch die engen Gassen noch die Benzinroller geknattert sind!

Wir starten heute abend äußerst optimistisch und bestens mit Kartenmaterial versorgt einen zweiten Versuch, das vegetarische Restaurant Xixianzhang aufzusuchen, das wir noch zwei Wochen zuvor trotz allgemeiner Bemühungen nicht finden konnten. Und siehe da, diesmal klappt es, wir laufen in die richtige Richtung, finden die Straße, freuen uns über die hübsche Umgebung in direkter Nachbarschaft des Lama- und Konfuzius-Tempels und stehen kurz darauf vor dem richtigen Gebäude, auf dessen Dach unübersehbar der Name des Restaurants prangt. Na also! Bei näherer Betrachtung allerdings stellen wir fest, dass das Lokal einen sehr verlassenen Eindruck macht, und bald deuten wir den Anschlag auf der Eingangstür richtig: hier ist gerade wegen Renovierung geschlossen...

So etwas hatte ich bei meinen Recherchen heute nachmittag irgendwie geahnt, jedenfalls habe ich noch ein zweites Restaurant herausgesucht, das nicht allzu weit entfernt in der sogenannten "culinary street", der "Donghzimennei-Straße" liegt. Wir marschieren wacker los, nur zehn MInuten später biegen wir in die besagte 6spurige Straße ein, auf deren beider Straßenseiten sich Restaurants, Imbissbuden, Bars und noch mehr Restaurants drängen. Es ist unbeschreiblich, was hier los ist, überall blinken Schriftzüge, Kellner stehen ausgerüstet mit Mikrophonen und Verstärkern wie Marktschreier in den Türen und versuchen, hungrige Fußgänger anzulocken, Discomusik und schnulziger China-Pop ist zu hören, vor vielen Lokalen warten Trauben von Menschen auf einen Tisch und sitzen auf kleinen Hockerchen geduldig auf dem Gehweg - wir sind überwältigt, so was gibt es wohl nur in China, wo einfach alles immer noch ein paar Nummern größer ist als bei uns.
Hier gibt es alle nur erdenklichen Speisen, Enten brutzeln an Spießen, überall wird mit frischem Meeresgetier geworben, das noch lebendig in großen Eimern auf dem Gehweg herumschwimmt oder -krabbelt, an Imbissbuden kann man den allgegenwärtigen "Tintenfisch-To-Go" kaufen, ein frittierter Oktopus, der kunstvoll auf einem Spieß gesteckt und so gereicht wird, in jedem dritten Lokal gibt es Hot Pot, und das ist nur das, was wir beim Vorbeilaufen auf die Schnelle erspähen können.

Bald erreichen wir die Hausnummer 144 und damit das vegetarische Restaurant "Huo Kai - Blossom", das sich als Oase inmitten dieses lauten Getümmels entpuppt. Drinnen kann man aus einem schier unendlichen Menü auf dem Ipad seine Bestellung selbst zusammenstellen, und bald schon stehen große Teller mit Avocado-Kiwi-Rote Bete-Salat, Gemüsecurry mit Okraschoten, Nudeln in Erdnusssauce, Tofu mit Pflaumensauce, der ähnlich wie Pekingente in kleine Pfannkuchen gerollt wird, und noch mehr mit Pfeffer marinierter Tofu mit Spinat und Schwarzwurzeln vor uns. Da das Lokal irgendwie buddhistisch zu sein scheint, gibt es keinen Alkohol, dafür leckeren Früchtetee mit frischer Minze, und Titus kommt aus dem "Nam! Nam!"-Rufen nicht mehr heraus.
Wie immer sind die Portionen so üppig, dass genug für Titus' morgiges Mittagessen übrig bleibt, und auch ich lasse mir diesmal die Reste einpacken.

Als wir gegen halb neun das Lokal verlassen, hat die Luft draußen auf fast schon angenehmen 30 Grad abgekühlt, und die Chinesen sind schwer mit ihrer Art von Abendunterhaltung beschäftigt. Überall wird auf offener Straße getanzt und gesungen, und direkt vor dem Eingang zur U-Bahn-Station hat sich eine ganze kostümierte Gruppe zusammengefunden, die kommunistische Lieder darbietet, dazu tanzt und hölzerne Schwerter und Kalaschnikows (!) schwenkt.
Uns ist es sogar zum Kopfschütteln zu warm, schnell bringen wir Titus mit der U-Bahn zurück ins Hotel, der kleine Kerl hält sich trotz der Hitze und des ganzen Krawalls um ihn herum wirklich tapfer.
Als er im Bett liegt, zerbrechen Norman und ich uns noch eine Weile den Kopf darüber, was wir denn morgen anstellen, die Temperaturen sollen tatsächlich noch weiter steigen...

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