29.6.15

Bei den Pandas

Als wir heute vormittag das Hotel verlassen, ist es fast zu kühl für kurze Hose und T-Shirt, Regen ist vorhergesagt. Wir wagen dennoch einen Ausflug in den Pekinger Zoo, der nur wenige U-Bahn-Stationen von unserer Unterkunft entfernt ist. Als wir am Eingang des 1906 gegründeten Tierparks stehen, sind wir fassungslos: an einem ganz normalen Montag scharen sich hier wieder einmal Hunderte Menschen, die typische chinesische Ein-Kind-Familie mit sämtlichen Großeltern ist ebenso dabei wie der Kindergartenausflug und Horden von Teenagern mit Selfie-Sticks.

Am Ticketschalter staune ich nicht schlecht, als ich zwei Eintrittskarten für zusammen nicht mal 6 Euro erstehe. Unser erster Gang führt uns, wie auch alle anderen Besucher, zuallererst zum Pandahaus. Dort können wir tatsächlich die so seltenen Pandas bestaunen, gleich 5 davon leben hier in großen Einzelgehegen. Zwar sind die Tiere äußerst faul und liegen nur herum, doch die Chinesen flippen trotzdem völlig aus, hängen in großen Trauben vor den Scheiben der Käfige und fotografieren ununterbrochen. Zum Glück macht man uns eigentlich immer schnell Platz, und sobald Titus auch vor der Scheibe steht, ist er mindestens ein so begehrtes Fotoobjekt wie die Pandas.
Nachdem wir nun die Hauptattraktion dieses riesgen Zoos schon gesehen haben, schlendern wir die folgenden zwei Stunden eher ziellos umher, besichtigen Eisbären, Geparden, schwarze Panther, Elefanten und Bären. Das Gelände ist unfassbar groß und wie ein Park, mit vielen Grünflächen, angelegt. Die Käfige allerdings haben allesamt schon bessere Zeiten gesehen, alles wirkt ein bisschen schmuddelig - und die Chinesen sind offenbar unbelehrbar: jeder wirft den Tieren Futter zu, darunter Butterkekse oder Plastikverpackungen, es wird wild an Scheiben geklopft und an Gitterstäbe gehämmert, um dann ein möglichst tolles Foto mit dem Handy am Selfiestick schießen zu können. Und das ständige "Can we please make a picture of the baby?" geht uns heute erst recht auf den Keks.

Die Krönung folgt, als Norman den kleinen Mann im Vorraum eines Toilettenhäuschens wickelt. Auch hier versammeln sich in Windeseile vier, fünf Chinesinnen um ihn, die das ganze freudig kommentieren, Fotos schießen und den Akt des Windelwechselns sogar per Video festhalten. Wir sind ratlos, was daran jetzt so interessant gewesen sein soll?! Gut, zugegebenermaßen tragen hier die wenigsten Kinder Windeln, Babys und Kleinkinder sind allesamt mit Hosen bekleidet, die einen großen Schlitz im Schritt haben, und verrichten ihre kleinen und großen Geschäfte dann einfach direkt an Ort und Stelle, d.h. gerne auch mal auf dem Gehweg.
Wir sind jedenfalls recht genervt, und so stört es uns auch nicht weiter, als kurz nach Titus' Mittagessen (wir verzichten, da es an den Imbissbuden im Zoo nur seltsame Dinge wie "Pommes mit Eis" (sic!) oder Fleischlastiges zu kaufen gibt) ein Wolkenbruch aufzieht und wir beschließen, den Zoobesuch für beendet zu erklären. Im Laufschritt stürmen wir kilometerweit zurück zum Ausgang. Um uns einigermaßen trocken zu legen und da Norman und ich auch hungrig sind, kehren wir tatsächlich in die große McDonald's-Filiale gegenüber vom Zoo ein. Ein bisschen plagt mich da das schlechte Gewissen, aber immerhin gibt es dort eine englische Karte, es ist erstaunlich günstig, auch wenn es hier natürlich auch kein vegetarisches Essen gibt und ich mich mit Pommes begnügen muss.
Titus hält derweil mal wieder Mittagsschläfchen, völlig ungerührt von dem Lärmpegel, der in dem vollbesetzten Lokal herrscht.

Als wir gerade gehen wollen, stellen wir fest, dass wir schon wieder mitten in einer ShoppingMall voller Fake-Shops gelandet sind - diesmal aber deutlich untouristischer und viel weniger glamourös als gestern. Hier reihen sich unzählige kleine Geschäfte aneinander mit furchtbar schlecht gefälschten Markenprodukten, und wir sehen T-Shirts mit Aufdrucken wie "Channel" und "Givehncy", Reihen voller billig ausshender Anzüge und Kleider, Bling-Bling-Schmuck und vor allem Schuhladen neben Schuhladen, alle vollgestopft mit Fälschungen von Nike-, Timberland- oder Converse-Schuhen. Wir können nicht widerstehen und erstehen jeder ein Paar nett kopierte Chucks. Die Verhandlungen darf wieder einmal ich führen, ich bin schon etwas besser in Übung als noch gestern und zahlen (hoffentlich) einen nicht allzu hohen Langnasen-Aufschlag.

Nach dem Schuhkauf brechen wir die Shoppingtour aber ab und nehmen die U-Bahn zurück in unser Viertel. Nach einem letzten Abstecher zum Supermarkt, in dem wir Vorräte für unseren Ferienhaus-Aufenthalt an der Chinesischen Mauer besorgen, gehen wir endlich das Projekt "Haare schneiden" an. Titus hat nämlich inzwischen wirklich ziemlich lange Haare bekommen, die sich zwar furchtbar niedlich im Nacken locken, er aber bei diesen Temperaturen hier immerzu verschwitzt ist am Kopf. Also gebe ich Normans Drängeln nach und wir gehen alle gemeinsam in den winzigen Friseursalon drei Häuser weiter. Innen blättert der Putz von den Wänden, im kleinen Nebenraum sind zwei Klappliegen zu sehen und auch hier stehen überall lustig gefälschte Haarpflegeprodukte von "L'Overal" herum, doch die Friseurin wirkt einigermaßen kompetent.
Große Begeistertung herrscht bei ihr und den zwei Kundinnen, als Titus auf Normans Schoß platziert wird und er seinen allerersten Haarschnitt verpasst bekommt, während alle gleichzeitig auf uns einreden. Titus ist die Sache höchst unheimlich, und obwohl es schnell vorüber ist, lässt er sich beim anschließenden "Nachher-Foto" mit der Friseurin nicht einmal das kleinste Lächeln entlocken. Ich sammle noch eine am Boden liegende Haarlocke von ihm als Erinnerung ein, lasse mir bei der Gelegenheit auch noch schnell die Spitzen schneiden, bezahlen insgesamt etwa 7 Euro für alles und werden beim Gehen eifrig winkend verabschiedet.

Nach einer Spielrunde zurück im Hotel beschließen wir, noch einmal den Ausflug ins nahe gelegene Finanzviertel zu wagen, vielleicht finden wir ja heute endlich das vegetarische Restaurant, nachdem ich mich noch einmal auf verschiedenen Foodblogs über Peking schlau gemacht habe. Und siehe da, da heute am Montag alle Bürotürme geöffnet sind, entdecken wir endlich auch das im Untergeschoss eines solchen Büro-Hochhauses gelegene Lokal - das findet man definitiv nicht so ohne weiteres! Das chinesische Essen ist fantastisch gut, die Dim Sums so lecker, dass wir gleich noch eine Runde ordern, um für morgen mittag vorzusorgen, und wieder einmal ist die gesamte Belegschaft unfassbar beflissen und vor allem nett zu Titus. Ganz entgegen meinen Befürchtungen hat sich überhaupt bisher eigentlich noch in jedem Restaurant jemand gefunden, der zumindest rudimentär Englisch spricht, und eine englische Speisekarte gab es eigentlich auch immer, so auch hier.

Wir spazieren gut gesättigt durchs dunkle, regnerische Peking zurück ins Hotel, sagen den Goldfischen im Garten gute Nacht und kuscheln mit Titus noch ein Stündchen gemeinsam im Bett, bevor wir schlafen gehen - auch dafür ist auf dieser Reise bislang mehr als genug Zeit gewesen, wir haben stundenlang zu dritt im Bett gelegen, uns gekitzelt, gesungen, gemeinsam mit Titus diverse Nasen, Münder und Ohren erkundet, alles ganz ohne Termindruck. Das ist sicherlich mit das Schönste auf dieser Reise: so viel "quality time" als Familie zu haben!

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