27.5.15

Birken, nichts als Birken

Und schon macht sich Trägheit breit nach unserer ersten, erstaunlich ruhigen Nacht im Zug, in der wir mit Unterbrechungen dann doch bis 8 Uhr geschlafen haben, obwohl bereits ab 3 Uhr morgens die Sonne in unser Abteil schien, da wir doch ganz schön weit im Norden unterwegs sind... Die Organisation der Morgentoilette und des Frühstücks in unserem engen Abteil, ohne Dusche, nur mit WC und Waschbecken auf dem Gang, war zwar etwas schwieriger und dauerte länger als sonst, aber danach: seliges Nichtstun.
Lesen, mit Titus spielen, auf dem Gang herumstehen, wieder lesen und aus dem Fenster schauen, mehr stand nicht auf unserem Programm. Draußen die stets gleiche Landschaft: riesige Birkenwälder, hin und wieder kleine Dörfer mit Holzhäusern, meist ungeteerte Straßen und karge Bahnhöfe alle paar Stunden.
Gegen Mittag erreichen wir Perm, hier haben wir schon zwei Stunden Zeitunterschied zu Moskau (und sind 1.500 km davon entfernt), doch im Zug sitzen wir in einem seltsam zeitlosen Raum - denn die "Zugzeit" ist immer Moskauer Zeit, d.h. alle Ankunftszeiten orientieren sich ausschließlich daran, ebenso die Öffnungszeiten des Bordrestaurants und die Uhren an den Bahnhöfen... 


Zur Mittagszeit versuchen wir, am Bahnsteig etwas Essbares für uns zu organisieren, doch außer einem Joghurt und einer Teigtasche bleibt die Suche erfolglos, so dass wir froh sind über unsere Vorräte an Tütensuppen und das Campinggeschirr. Heißes Wasser ist Tag und Nacht im auf dem Gang stehenden Samowar verfügbar, über dessen Betrieb die beiden Provodnitsas wachen, die sich in unserem Wagon in 10-Stunden-Schichten abwechseln. Tagsüber staubsaugen und wischen die beiden auch mal die Gänge und Abteile durch und erzählen uns radebrechend stolz, dass der Zug in Deutschland gebaut wurde.

Leider können wir immer noch nicht mehr als vielleicht 15 russische Wörter, und so ist die Kommunikation mit den mitreisenden Russen und dem Personal meistens recht einseitig; auch wenn Titus natürlich immer für Gesprächsstoff sorgt und auch sprachbarrierenfrei mit den Damen im Bordrestaurant schäkert.
Außer uns ist außer Russen (darunter eine ganze Armee-Einheit, die sich im beengten 3. Klasse-Abteil breit gemacht hat) nur noch ein deutsch-französisches Backpacker-Pärchen im Zug, die beiden fahren ebenso wie wir auch erst einmal nach Irkutsk und später weiter bis Peking.

Nach einem weiterhin recht ereignislosen Nachmittag - man passt sich schnell an das Bord-Leben an, mit Herumliegen, Musik hören, weiterhin die Birkenwälder draußen anstarren und an den Bahnhöfen mal schnell die Beine vertreten - besuchen wir abends wieder das immer noch vollkommen leere Bordrestaurant und versuchen uns heute an Borschtsch, einem Rohkostteller und Pommes. Na, zumindest Titus scheint davon begeistert zu sein, er isst sich angeregt durch unsere Portionen. Darüber bin ich sehr froh, das war nämlich mein einziger Sorgenpunkt vor dieser Reise, da mir nicht ganz klar war, wie die Mahlzeiten für so ein kleines Kind unterwegs zu organisieren sind. Aber bislang, toi-toi-toi, haben wir unsere Notfall-Breivorräte kaum angerührt, da der kleine Kerl immer äußerst neugierig alles probieren möchte und ganz schöne Portionen verdrückt, indem er sich den lieben Tag bei uns mit durchfuttert. Vor allem auf Joghurt und auf den allgegenwärtigen Buchweizen-Porridge ("kasha") ist er ganz wild!

Kurz nach der Einfahrt in Jekaterinburg, 1.800 km Fahrtstrecke liegen hinter uns, schläft der kleine Mann selig hinter seinem Netz, während Norman draußen am Bahnhof noch einen Gute-Nacht-Snack für uns organisiert. Wir versuchen uns langsam an die Zeitumstellung zu gewöhnen und Titus peu à peu wieder früher ins Bett zu bringen, zumindest das Einschlafen hier klappt bei dem schönen gleichmäßigen Schaukeln ganz wunderbar!

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