27.5.15

Und das Rattern hat ein Ende

Natürlich hat ausgerechnet heute unser "lebendiger Wecker" versagt, der sonst spätestens ab 6 Uhr durchs Abteil wuselt; heute dagegen schläft der kleine Kerl um 7:15 Uhr noch selig, und so werden wir zum Glück von der reizenden Provodnitsa geweckt, die an die Tür klopft und uns erzählt, dass wir in einer Stunde Irkutsk erreichen.
Also schnell angeziehen, Katzenwäsche machen, Betten abziehen, packen, das Kind mit Porridge abfüttern, selbst noch einen Kaffee hinunterstürzen, abspülen (da die Toiletten gerade besetzt sind, darf Norman mit dem Geschirr sogar zur Provodnitsa in ihr Abteil!), und schon fahren wir in Irkutsk ein. Bis wir unseren ganzen Kram draußen haben, dauert es eine Weile, wir verabschieden uns von den Franzosen und vom Zugpersonal, und stehen, wie die große Bahnhofsuhr anzeigt, um 03:28 Uhr am Bahnsteig. Das ist wirklich seltsam, dass sogar in den Bahnhöfen und auf allen Tickets immer nur Moskauer Zeit angezeigt wird, dabei sind wir hier nun schon 5 Stunden weiter!

Kaum haben wir den Zug verlassen und Titus sitzt wieder im Buggy, geht der Ärger wieder los - am Bahnhof gibts nur Treppen! Also mühen wir uns mitsamt unserem Gepäck ab, bis wir die großen Rucksäcke endlich in der Gepäckaufbewahrung abgegeben haben. Ein Russe bietet mir seine Hilfe beim Tragen an, will aber 3 Dollar dafür, das lehne ich dann doch ab.
Draußen vor dem Bahnhofsgebäude springen wir auf den nächstbesten Bus auf, der rumpelnd und scheppernd ins Stadtzentrum fährt. Dort spazieren wir eine Weile herum auf der Suche nach einem Café, und sind irritiert, weil zum einen morgens um 9 Uhr noch kaum etwas geöffnet hat, und zum anderen, weil hier alle paar Meter über große Lautsprecher die Straßen und Plätze mit verschiedenstem Programm (Musik, Werbung, irgendwelche Stimmen) beschallt wird. Das nervt!

Eine Einkehr in einem Café, das uns mit Kaffee, Schokocroissants, WLAN, einer frisch geputzten Toilette, und Strom - und alles für umgerechnet 3 Euro - versorgt hat, finden wir uns gegen 11 Uhr im Reisebüro "Mystery Baikal Tours" ein, dort sind unsere nächsten Zugtickets für uns hinterlegt. Das klappt ja wie am Schnürchen, dann der guten Organisation von Frau Grube von "Saugut Reisen", über die wir die Bahnfahrt gebucht haben.

Die Damen im Reisebüro konnten uns - wenn auch sehr umständlich - den Weg zum nächsten Supermarkt beschreiben, denn dort müssen wir uns dringend mit Windeln und anderen Lebensnotwendigkeiten wie Joghurt und einem Mittagessen für die Männer eindecken. Zum Glück gibt's an der Theke drinnen den landestypischen Rote-Bete-Salat mit Erbsen, Karotten und sauren Gurken, auf den Titus unerklärlicherweise total abfährt, und so lassen wir uns davon und vom gekochten Buchweizen ein Schälchen als Proviant abfüllen.

Damit erklären wir die Sightseeing-Tour in Irkutsk für beendet, die Stadt macht nicht den allerhübschesten Eindruck, und fahren mit der klapprigen Straßenbahn zurück zum Bahnhof, wo wir unter skeptischem Blick der wartenden Fahrgäste den hungrigen Titus abfüttern; während Norman das Gepäck holt, werde ich von ein paar älteren Herrschaften dann noch ermahnt (glaube ich zumindest), dass ich das Kind doch bitte nicht auf dem schmutzigen Boden herumkrabbeln lassen solle...

Da wir mit unseren Unmengen an Gepäck ein wenig "bewegungseingeschränkt" sind, leisten wir uns für die gut 60 Kilometer nach Listwjanka, wo unsere nächste Unterkunft auf uns wartet, ein Taxi statt der öffentlichen Sammeltaxen bzw. Busse. Die Preisverhandlungen laufen zunächst zäh, da wir von der Reisebürodame bereits wissen, was das Ganze kosten darf, man uns als Nicht-Einheimische aber natürlich erstmal abzocken will. Aber dann erbarmt sich doch einer, allerdings hat der natürlich keinen Kindersitz geschweige denn überhaupt Gurte am Rücksitz, und der Gute heizt über die Landstraße, als hätte er noch Termine. Titus ist leider erst einmal total begeistert von dieser Art des Autofahrens und turnt wie wild über die Sitze, ich kann ihn kaum bändigen, doch schnell wird er müde und schläft den Rest der gut einstündigen Fahrt auf meinem Arm.

Die Fahrt ist eigentlich sehr schön, ringsum stehen dichte Wälder, und bald erspähen wir den Baikalsee und die schneebedeckten Gipfel am anderen Ufer. Von Irkutsk kommen geht es nordwärts am Westufer den See hinauf bis nach Listwjanka, dort finden wir nach kurzer Suche das Haus "Baikal Chalet", ein riesiges Haus oben am Hang stehend, in der typischen Holzbauweise.
Der Taxifahrer versucht nochmal nachzuverhandeln, als wir aber eisern beim verabredeten Preis bleiben und sogar noch ein kleines Trinkgeld obendrauf legen, schmeisst er uns praktisch aus dem Wagen und braust wütend ab. Egal, im Chalet werden wir herzlich willkommen geheißen, und über viele, viele Treppenstufen geht es hinauf in unser neues Zuhause für die nächsten fünf Nächte.

Dort beziehen wir ein riesiges Zimmer, in dem ebenfalls alles aus Holz ist, und von dessen Balkon man auf den See blicken kann, und packen erst einmal aus, machen Kaffeepause und waschen uns dann ausgiebig den Transsib-Staub von der Haut. Titus findet's hier großartig, das Zimmer ist groß genug, um herumzukrabbeln, das Spielzeug großzügig zu verteilen, unsere Schuhe herumzuwerfen und allerhand Unfug anzustellen. Da es kurz nach unserer Ankunft zu regnen beginnt, haben wir eine gute Ausrede, um den Rest des Tages herumzuliegen, zu spielen, und ich schaffe es endlich, das Knäuel meiner Sockenwolle, das Titus noch im Zug akribisch auseinandergenommen und verknotet hat, in stundenlanger Geduldsarbeit zu entwirren.

Beim Abendessen landet Titus sofort in den Armen der Köchin, die sich ihm als "babuschka" (Großmütterchen) vorstellt, mampft sich durch Salat, Gemüse und Kartoffeln und danach noch durch mein ganzes Stück Kuchen, schäkert noch mit dem deutschen Ehepaar, mit dem wir ins Gespräch kommen und kriegt sich gar nicht mehr ein, als er vor der großen Glastür draußen eine Katze entdeckt. Doch kaum sind wir zurück im Zimmer, schläft der kleine Kerl auch schon und schnarcht vor sich hin, während der Regen aufs Dachflächenfenster prasselt und der See wolkenverhangen in der Dämmerung verschwindet.


1 Kommentar:

  1. Die Sailerei27.5.15

    Deine Geschichten sind durch und durch wunderbar! Wir bekommen Fernweh ... Gute Reise euch dreien.

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