9.9.11

Frontalangriff auf alle Sinne (03.09.2011)

Diese Nacht schlafen wir alle verhaeltnismaessig gut. Ich werde ein paar Mal angeregnet, bis der Sitznachbar sich erbarmt und das offene Fenster schliesst. Morgentoilette im wackligen Klo, ein Tee vom Chaiwallah, der durch den Zug laeuft, Kekse zum Fruehstueck - wir lesen und warten, planmaessige Ankunft des Zugs soll 11 Uhr sein, bisher keinerlei Verspaetung. Etwa 500 m vor der Einfahrt in den Bahnhof bleibt der Zug ploetzlich stehen, und da steht er fuer die naechsten fast 90 Minuten. Einige Fahrgaeste steigen aus, die Zugtueren sind ja schliesslich immer geoeffnet und laufen, doch wir haben ja keinen Termin und sitzen die Sache daher aus. Endlich, weit nach 12 Uhr, erreichen wir Varanasi Junction.
Der Weg zum Ausgang ist endlos, ueberall liegen Leute auf dem Boden, draengeln sich Gepaecktraeger, die Rikschafahrer umschwirren uns. Mara bleibt hartnaeckig beim Verhandeln, und enlich sitzen wir auch in einer Rikscha - es giesst just in diesem Moment in Stroemen, und zu allem Uebel laeuft das Wasser seitlich in die Rikscha rein. Der Fahrer will lieber noch ein bisserl ratschen statt loszufahren, mir tropfts auf den Kopf und ich werde ein wenig ungeduldig. Daraufhin wird der Herr sehr unfreundlich und will mich fast rausschmeissen, aber Nitschi vermittelt, man wird sich einig, und wir fahren eeeeendlich los. Leider muessen wir zum Hostel dann auch noch etwa 20 Minuten mitsamt Gepaeck laufen, die Rikschas koennen in den engen Gaesschen der Altstadt nicht fahren. Motorraeder gibt es dagegen zuhaus, obwohl es dort so eng ist, dass man manchmal kaum zu zweit nebeneinander gehen kann.
Es geht im Zickzack vorbei an winzigen Verkaufsstaenden, Kuehen, Schreinen, die Wege sind vom Regen und vom ewigen Dreck und Kuhmist verschmiert, und Nitschi faellt auf den rutschigen Steinen gleich mal hin. Ueberall liegt Muell, der hin und wieder auch gerne einfach verbrannt wird - die indische Variante zur Beseitigung des Muellproblems: einfach anzuenden, Plastik hin oder her. Vorneweg marschiert unser Rikschafahrer, der darauf besteht, uns zum Hostel zu bringen. Wir sind froh, alleine haetten wir uns ganz schoen durchfragen muessen, und endlich erreichen wir das Hotel Alka, mit dreckigen Fuessen. Diese Stadt ist definitiv nicht Flipflop-geeignet, es wird Zeit fuer die Turnschuhe.
Wir haben per Mail ein Zimmer reserviert, bis dieses bezugsfertig ist, sitzen wir im Restaurant direkt am Ufer des Ganges und nehmen ein spaetes Mittagessen ein. Der Fluss ist immens angeschwollen jetzt zu Ende des Monsuns, gut 300-400 m liegt das andere Ufer entfernt, die Stroemung sieht bedrohlich schnell aus, das Wasser ist eine braune Bruehe. Wir erfahren, dass zur Zeit wegen des hohen Wasserstands keine Bootstouren stattfinden - zumindest keine legalen.
Nach dem Essen beziehen wir unser Zimmer, es ist riesig, die Dusche funktioniert tadellos, und auf dem Nachmittagsprogramm steht "Waesche waschen".  Kurz darauf haengen zwei Waescheleinen voller Unterwaesche zum Trocknen quer durchs Zimmer, die restliche Schmutzwaesche geben wir ab und haben die kleine Hoffnung, dass der Dobhiwallah (= Waeschemann) sie nicht im Ganges waescht.
Gegen 18 Uhr brechen wir auf und spazieren auf eigene Faust durch die Stadt entlang der Ghats, die alle ueberspuelt sind. Alle paar Meter will uns jemand eine Bootstour aufschwatzen, doch wir lehnen ab (siehe oben!). Entlang von Marktstaenden mit akribisch gestapeltem Obst pssieren wir einen Sadhu (= ein heiliger Mann, meist Asket), der auf einem Bein steht und von Nitschi sofort fotografiert wird. Als sie ihm Geld dafuer gibt, faengt er doch glatt an zu handeln und will viel mehr. Wir verneinen, gehen einfach weiter, und er huepft uns auf einem Bein hinterher, bis wir ihn ueberzeugen, dass es keinesfalls mehr Geld gibt, auch wenn wir dafuer schlechtes Karma bekommen.
Schliesslich landen wir am Haupt-Ghat, dort stehen Unmengen Stuehle bereit, und puenktlich um 19 Uhr beginnt dort die taegliche Puja (= Andacht): ein tolles Brimborium mit Gesang, Trommeln, Weihrauch, Feuer - die Inder singen und klatschen begeistert mit, die Touristen halten alle naselang die Kamera in die Luft und fotografieren.
Nach etwa einer Stunde haben wir genug und machen uns auf die Suche nach dem International Music Centre Ashram, dort findet samstags ab 20 Uhr ein Sitar-Konzert statt, sagt unser Reisefuehrer. Wir muessen ein paar Mal nach dem Weg fragen, schliesslich werden wir von einem netten Herrn sogar hoechstpersoenlich zum richtigen Haus geleitet. Leider verstehen wir nicht, was er zu uns sagt, denn im Mund hat er eine riesige Portion Paan und spricht daher so deutlich wie mit einer heissen Kartoffel.
Im Music Centre werden wir von einem guruaehnlichen Menschen nett empfangen, zahlen Eintritt und setzen uns in einen leicht schimmligen Innenhof mit Baenken und einer Buehne. Kurz darauf betreten die Musiker die Buehne, und beginnen ihr Konzert - zuerst solitisch mit der Sitar, spaeter steht die Tabla ein.
Man kommt in eine Art Rausch, die Musik plaetschert ohne Pausen vor sich hin, es ist schwuel und wir dampfen so vor uns hin. Zum Ende hin wird uns ein Tonbecher mit heissem und sehr suessem Zitronentee serviert. Und dann haben wir genug, wir verlassen das Konzert gegen 21:15 Uhr, denn wir haben Hunger und suchen uns den Weg durch die verwinkelten Gassen zurueck zum Hotel.
Auch Mara rutscht auf den glitschigen Stufen aus, Varanasi schiesst in Sachen Schmutz bisher einfach den Vogel ab.
Im Restaurant setzen wir uns an einen Tisch direkt am Waser, bestellen Essen und vor allem kaltes Bier und machen es uns gemuetlich. Es ist klar: wir wollen auch die folgenden beiden Wochen gemeinsam weiterreisen, denn schlimmer kann's nicht kommen.

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