9.9.11

Wahnsinn in Varanasi (05.09.2011)

Um 4:45 Uhr: Aufstehzeit! Anziehen, Zaehne putzen, und raus - dort warten schon ein paar andere muede Gestalten. Wir werden in ein zu Glueck relativ grosses Boot verfrachtet, denn inzwischen ist der Pegel des Ganges soweit gesunken, dass Bootsfahrten wieder offiziell erlaubt sind. So tuckern wir zunaechst Richtung Sueden entlang der Ghats. Andachten sind trotz der fruehen Stunden bereits in vollem Gange, die Leute fuehren rituelle Waschungen durch, baden, waschen ihre Waesche, putzen die Zaehne, und das alles in und mit dieser dreckigen Bruehe. Mich schuettelt's sehr.
Die Sonne geht langsam als roter Ball am diesigen Ufer auf, es sieht alles sehr viel idyllischer aus, als es bei naeherem Betrachten eigentlich ist. Das Tuckern des Motors stoert ein wenig die andaechtige Stille. Zum Glueck schwimmen entlang des Boots "nur" Plastiktueten und Pflanzen vorbei, und keine Leichen.
Nach gut einer Stunde Fahrt kommen wir um halb sieben wieder im Hotel an, und legen uns sofort wieder ins Bett, wo wir nochmal ein paar Stuendchen schlafen.
Nach ausgiebiger Schoenheitspflege (das heisst in so einem Urlaub: alle paar Tage mal die Augenbrauen zupfen) wird gefruehstueckt, wir sind froh, dass wir einen Platz im Schatten kriegen. Einhellig bestellen wir Pancakes, und nach dem Essen raeumen wir gemuetlich unser Gepaeck zusammen und reizen die Zeit bis zum Checkout um 12 Uhr bis zur letzten Minute aus (so, dass sogar noch die Rezeption in unserem Zimmer anruft, um uns daran zu erinnern).
Wir bezahlen, duerfen unser Gepaeck unterstelen und marschieren wieder einmal durch die Altstadt. In einem kleinen Geschaeft ueberfallen wir den Verkaeufer und erstehen zu einem Spottpreis eine ganze Menge "Huehnerhosen" (wie Norman so schoen sagt), Schals, T-Shirts etc. als Mitbringsel und fuer uns selbst. Die Menge laesst natuerlich Spielraum beim Handeln, auch der Verkaeufer erliegt irgendwann unserem Charme.
Dann folgt wieder ein ausgiebiger Besuch im Internetcafe, endlich einmal gibts eine wirklich gut funktionierende Tastatur, und ich blogge gleich mal wie wild.
Irgendwie sind wir heute alle drei nicht besonders fit, Nitschi kaempft mit dem Kreislauf, Mara und ich mit dem Magen, wir geben wirklich ein heldenhaftes Bild ab. Daher schleppen wir uns grade noch ins naechste Cafe, es gibt Wasser und Lassis, aber wirklich gemuetlich ist es dort leider nicht. Eine Maus rennt unter den Tischen umher, Ameisen krabbeln herum, unterm Schrank sitzt eine Katze und kaut geraeuschvoll auf einem Knochen...
Am Fenster zur Strasse steht wieder einmal ein Sadhu in orangerotem Tuch und bettelt uns vehement und laut um Geld an. Nach mehrmaligem "Nein" steht Mara irgendwann entnervt auf und schliesst kurzerhand die Fensterlaeden - wir sind sehr duennhaeutig heute. Deshalb wird auch der Rueckweg zum Hotel zu einer kleinen Zerreissprobe:
Wir passieren einen toten Hund, dann verhaut ein Sadhu (wie mir diese "heiligen Maenner" heute auf den Keks gehen) mit einem Stock kleine Welpen und wird daraufhin hoechst aggressiv von der Hundemama angebellt, kurz darauf schlagen Gassenjungen mit Stoecken brutal auf Kuehe ein, um sie von den Gemuesestaenden zu vertreiben, es stinkt und ist heiss - wir sind einen kurzen Moment alle knapp davor, loszuheulen. Irgendwie schaffen wir's ins Hotel, ruhen uns einen Moment aus  und gehen dann mit unserem gesamten Gepaeck auf dem Ruecken den ganzen Weg zurueck zur Hauptstrasse. Dort das naechste Aergernis: die Rikschafahrer verlangen fuer einen relativ kurzen Weg horrend hohe Preise und geben auch kein bisschen nach. Da Nitschi schon wieder blass um die Nase wird, muessen wir wohl oder uebel den geforderten Preis fuer die Fahrt zum Kedar Ghat zahlen. Wir irren nochmals durch enge Gassen, verfolgt von einem humpelnden Heiligen (mit denen haben wir heute aber auch wirklich kein Glueck), der uns unbedingt den Weg zeigen (und Geld dafuer bekommen) will, aber wir schaffen es, ihn im Stechschritt abzuhaengen.
Endlich erreichn wir die "Lotus Lounge", eine wahre Oase in dieser verrueckten Stadt: eine grosse Terrasse mit gemuetlichen Liegen direkt ueber dem Ganges, im Wasser baden Bueffel, es ist herrlich ruhig und die Getraenke und das Essen sind absolut in Ordnung.
Das beste ist, dass wir hier in Ruhe gelassen werden, und verbringen so zwei nette Stunden mit lesen und doesen. Zwischendurch pimpen wir uns mit Vitaminen und Elektrolyten in Pulverform, schliesslich wollen wir ja wieder fit werden.
Zu Fuss spazieren wir zum relativ nahe gelegenen Geschaeft von Baba Blacksheep, puenktlich um 18:30 Uhr treffen wir dort ein, und die Maedels duerfen ihre neu genaehten Kleider probieren.Ein wenig muss wohl daheim noch nachjustiert werden, doch insgesamt ist das Ergebnis traumhaft schoen. Wir verabschieden uns sehr herzlich, und spielen dann nochmals das Spielchen mit den unverschaemten Rikschafahrern. Zusammengepfercht mit dem ganzen Gepaeck sitzen wir schliesslich in einer drin, leider entpuppt sich der Fahrer beim Weg durch die rush hour zum Bahnhof als aeusserst kamikazefreudig. Ab und zu halten wir doch die Luft an.
Heil erreichn wir Varanasi Junction, der nette Wachmann am Eingang schickt uns zu Gleis 6, vorher machen wir einen Abstecher zum Klo und stellen fest, dass die indische Frau eine Ewigkeit braucht, um sich aus ihrem Sari raus- und nach dem Klogang wieder einzuwickeln. Hier dauert einfach alles immer ein wenig laenger, hetzen laesst sich hier niemand.
Wir stocken noch unsere Keks- und Wasservorraete auf, und stehen dann eine Stunde am besagten Gleis herum, waehrend um uns die Ratten recht aktiv umherrennen. Wir sind verschwitzt und klebrig, muessen auch noch eine Schicht stinkendes Nobite auftragen, weil die Mosquitos loslegen, und als endlich (nach einigen Stromausfaellen, die den Bahnhof jedesmal in voellige Finsternis tauchen) um 21:15 Uhr zur exakten Abfahrtszeit der Zug einfaehrt, stellen wir fest: das ist gar nicht unserer!!!
Wir verfallen ein wenig in Panik, fragen zig Wachmaenner, die alle komplett die Ruhe weg haben, und erhalten endlich die Auskunft, dass wir zu Gleis 5 muessen. Und - was fuer ein Glueck - unser Zug hat 30 Minuten Verspaetung, faehrt also wenige Minuten ein, nachdem wir das richige Gleis erreicht haben. Wir sind fix und fertig und dampfen im Zug ermattet erst einmal eine Weile vor uns hin, waehrend wir langsam ueber den Ganges rollen.
Es ist unfassbar heiss nachts, trotz der offenen Fenster und durchquirlenden Ventilatoren. Daher ist's eher eine unruhige Nacht. Nicht hilfreich ist auch, dass ich nachts um 3 Uhr von Uniformierten mit Schlagstoecken geweckt werde. Sie wollen ueberpruefen, ob unser Gepaeck noch da ist und alles in Ordnung ist und erzaehlen mir, dass wohl viel geklaut wird im Zug. Ich zeige ihnen die Profischloesser von Mara und Nitschi an den Rucksaecken, mit denen das Gepaeck an die Sitzbaenke gekettet wird, aber trotzdem zeigen sie sich weiterhin besorgt, und ich versuche, nicht allzu verschlafen zu reagieren.
Kurz darauf steigt ein aelterer, dickbaeuchiger Herr zu uns ins Abteil, der vorher durch die offenen Fenster erst einmal die Lage gecheckt hat. Er setzt sich uns Schlafenden gegenueber und beobachtet uns ausgiebig, legt sich dann aber auch irgendwann hin. Wir behalten ihn alle mal sicherheitshalber im Auge, und kriegen dementsprechend wenig Schlaf. Alle zwei Minuten laeuft ein Haendler mit Essen, Getraenken, Spielzeug, Zeitungen, Schuhflickzeug etc. lautstark schreiend durch den Gang, ungeachtet der nachtschlafenden Stunde.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen