8.6.15

Dsching-Dsching-Dschingis Khan!

Gegen Mittag erreichen wir Nauschki, hier sagt der Zeitplan, der an unserer Abteiltür hängt, einen Aufenthalt von vier Stunden voraus - und diese Angabe wird wieder auf die Minute genau eingehalten. 

Allerdings passiert an diesem Stopp erst einmal gar nichts; der Bahnhof ist nicht weiter beachtenswert, sonst gibt es auch nicht viel zu sehen, und da Titus gerade sein Mittagsschläfchen hält, bleibe ich im Abteil sitzen, während sich die anderen Reisenden am Bahnsteig die Beine vertreten. Plötzlich fährt der Zug los, und ehe ich mich versehe, rattern wir etwa zehn Mal immer wieder 500 Meter das Gleis in die eine und dann in die andere Richtung, um diverse Wagons an- und abzuhängen; jedes Mal wieder an den belustigsten Blicken der Wartenden vorbei. Als das endlich erledigt und Norman wieder mit im Zug sitzt, geht die Pass- und Zollkontrolle der Russen los. Uniformierte Männer und Frauen mit starren Blicken kontrollieren mehrfach und genauestens Pässe und Visa, wir müssen aufstehen, die biometrischen Fotos werden verglichen, ein paar Mal müssen wir sogar aus dem Abteil heraus auf den Gang treten, damit das Gepäck und die Abteile genauestens untersucht werden können. Sogar ein Drogenspürhund ist mit von der Partie. Titus stört das nicht weiter, er probiert auch hier sein strahlendstes Lächeln aus, doch mehr als ein Zucken der Mundwinkel kann er den russichen Grenzbeamten nicht entlocken. Endlich sind alle Pässe mit Ausreisestempeln versehen, die Provodnitsa treibt ihre Schäfchen zusammen und weiter geht es.
Nach nicht einmal 5 Kilometern, in denen wir das Grenzgebiet, das dicht mit Stacheldraht abgeschirmt und von Wachtürmen überragt wird, passiert haben, erreichen wir Sükhbataar, ein kleines Grenzstädtchen in der Mongolei. Ab hier werden auf einmal sämtliche Uhren im Zug auf monglische Zeit gestellt, und zur allgemeinen Verwunderung wird die Uhr auch noch um eine Stunde vorgestellt, darüber wusste keiner von uns Bescheid. Wieder passiert eine ganze Weile lang nichts, endlich kommen auch hier die Grenz- und Zollbeamten in den Zug, und bereits der erste Uniformierte grüßt freundlichst, lächelt herzlich und kitzelt Titus am Kinn. Die britischen Mitreisenden kommentieren trocken: "That's the difference between Russia and Mongolia, isn't it?!"
Das Einreisevisum ist schnell erteilt, und endlich setzen wir die Fahrt nach insgesamt 6 Stunden Grenzübertritt fort. Kaum aus der Stadt heraus, sehen wir auf den Feldern neben den Gleisen vereinzelt die ersten weißen Jurten stehen.

Da uns nun wieder eine Stunde fehlt, ist längst Schlafenszeit, alle gehen früh ins Bett, da wir Ulan-Bataar in aller Herrgottsfrüh erreichen werden, und so packen wir Titus wieder hinter's Netz, trinken ein letztes russisches Dosenbier, packen das Wichtigste zusammen und legen uns auf die Pritschen.

Um 5 Uhr werden wir von der Provodnitsa geweckt, noch im Halbdunkel machen wir uns fertig, ziehen die Betten ab und den noch schlafenden Titus an, schließen die Rucksäcke und fahren pünktlich um 5:50 Uhr in Ulan-Bataar ein. Zum Glück wartet draußen vor der Zugtür, im beginnenden Nieselregen, bereits ein Fahrer auf uns, der uns in das gebuchte Hotel Bayangol bringt, wenige Minuten Fahrt vom Bahnhof entfernt. Bereits an der ersten Ampel lässt sich nicht leugnen, dass wir uns hier auf asiatischem Boden befinden, eine rote Ampel bedeutet noch lange nicht, dass man unbedingt anhalten muss...


Im Hotel bekommen wir ein wunderbares Zimmer und sogar ein Kinderbett für Titus, und nach einer dringend nötigen Dusche, während der unser kleiner Sohnemann das Zimmer erkundet, mit allen Fernbedienungen "telefoniert", unser Gepäck im Mülleimer versteckt und unheimlich geschäftig ist, halten wir alle noch ein kleines Schläfchen.
Beim Frühstücksbuffet ist Titus dann der erklärte Star, gleich vier Bedienungen scharen sich um sein Kinderstühlchen, und sobald er den letzten Bissen Marmeladebrot verputzt hat, wird er herausgenommen und herumgereicht, irgendwann verschwindet eine der Ladies mit ihm in der Küche, während wir in Ruhe fertig frühstücken. Die Mongolen sind offenbar sehr kinderfreundlich, jede Putzfrau und jeder Türsteher im Hotel hat ein Lächeln für das Kerlchen übrig, ebenso Männer und Frauen jeden Alters auf der Straße, und Titus genießt die Aufmerksamkeit sichtlich, als wir frisch gestärkt unser Tagesprogramm angehen.
Zuerst einmall holen wir in einem nahegelegenen Reisebüro unsere nächsten Zugtickets ab und statten dann dem zentralen Platz der City einen Besuch ab. Dort steht eine riesige Statue von Dschingis Khan, vor der eine hübsch herausgeputzte mongolische Reisegruppe für Fotos posiert, während außen herum der dichte Verkehr rauscht.

Die Gehwege und Straßenführung ist deutlich kinderwagenfreundlicher als noch in Irkutsk oder Moskau, und so erreichen wir kurz darauf das Reisebüro, über das wir unsere Rundtour für die nächsten 14 Tage gebucht haben. Dort können wir noch die letzten Details klären, z.B. ob wir Schlafsäcke bekommen und wie die Verpflegung unterwegs aussieht, und auch hier empfängt man uns sehr freundlich. Weiter geht die erste Stadtbesichtigung, wir brauchen dringend Windeln und betreten nach einigem Suchen das riesige Kaufhaus, das "State Department Store" heißt und die Ausmaße und Ausstattung eines Karstadt-Geschäfts hat. Wir sind mehr als erstaunt, als wir im dortigen Supermarkt die Babyabteilung betreten - eine solche Auswahl an verschiedenen Babyprodukten und v.a. an Windelmarken haben wir noch nie gesehen! So dauert es eine Weile, bis wir uns durch die verschiedenen Marken und Preisangaben gearbeitet haben, die Umrechnungen in die hiesige Währung, den "tögrög", dauert noch ein bisschen länger, und die Schrift ist ja auch kyrillisch. Endlich sind wir versorgt mit dem nötigsten, nachdem wir noch die restlichen angebotenen Waren bestaunt haben, vieles davon ist sogar deutsche Markenware, hier ist wirklich alles zu bekommen und das Angebot vielfältiger als sogar in Moskau.

Genug des Herumlaufens, wir haben MIttagshunger, und auch hier fällt die Wahl zunächst schwer, denn ein vielversprechend aussehendes Restaurant reiht sich an das nächste, japanische, italienische, vegane (!), ukrainische Küche ist vertreten, und wir landen schließlich in einem mediterran anmutenden Bistro. Titus isst sich durch das angebotenen Mittagsmenü und macht danach weiter seine Laufübungen, wir sind wieder sehr angetan vom Service hier, und im Gegensatz zu Russland spricht hier doch tatsächlich praktisch jeder Englisch, das macht die Kommunikation dann doch einfacher. Selbst die Dame in der Wäscherei, in der wir unsere Schmutzwäsche abgeben mit der Bitte, sie bis morgen zurückzubekommen, kann mit uns das Wichtigste besprechen, und endlich darf auch wieder um den Preis gefeilscht werden, das gefällt mir sehr gut!

Nach dem Essen spazieren wir erst einmal zurück ins Hotel, das Wichtigste haben wir soweit erledigt. Die Stadt selbst ist eine bunte Mischung aus futuristischen Hochhäusern, sowjetischen Plattenbauten, buddhistischen Tempeln, chinesischen Pagoden und vielen, vielen Baustellen, der Verkehr ist recht wild, es wird viel gehupt, und auf den Gehwegen und Plätzen sind viele, viele Menschen unterwegs. 


Das Timing war perfekt, eine der dauernd heranziehenden dunklen Wolken entlädt sich in einen heftigen Regenguss, den wir gemütlich im Hotelzimmer sitzend, spielend, E-Mail schreibend und das Lied "Dschingis Khan"  auswendig lernend abwarten.

Als die Sonne wieder hervorlugt, spazieren wir zu einem nahe gelegenen Spielplatz, Titus darf wieder seine Rutschkünste verfeinern, lässt sich immer noch nicht zum Schaukeln bewegen, und reagiert sehr irritiert auf die Annäherungsversuche der mongolischen Kinder, die ihn umarmen oder küssen wollen, da hält er sich doch lieber an die freundlich winkenden und lächelnden Mütter. 



Auf eine Reiseführer-Empfehlung hin suchen wir tatsächlich eine Pizzeria auf, die nicht allzu weit vom Hotel entfernt ist, wir sind wegen der kurzen Nacht alle müde und wollen schnell wieder zurück. Die Pizza ist dann auch ganz fein, das Dschingis-Khan-Bier auch, allerdings ist das Essen wie alles hier nicht ganz billig. Titus schläft bereits auf dem kurzen Rückweg im Kinderwagen ein und wacht auch nicht mehr auf, als wir ihn im Hotel angekommen in sein Bett legen, das war ein aufregender Tag für uns alle. Bisher fühlt es sich toll an, endlich in der Mongolei angekommen zu sein, das Reisen zusammen macht überhaupt richtig Spaß, und die Zeit zusammen tut uns allen gut. Zum Glück bleiben uns noch ein paar Wochen!

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