23.6.15

Frag' nie einen Mongolen nach der Ankunftszeit

Heute haben wir nicht so viel Glück mit der mongolischen Mentalität. Nach einer unruhigen Nacht in einem viel zu warmen Hotelzimmer und einem Titus, der das Konzept des Alleinschlafens verlernt hat, breche ich gegen halb zehn auf, um schnell bei der nahe gelegenen Wäscherei unsere Klamotten abzuholen. Dort finde ich die Tür leider verschlossen vor. Nach zwanzigminütiger Warterei, die ich mir mit einem Gespräch mit zwei ebenso wartenden Australiern vertreibe, düse ich erst einmal ins Hotel zurück. Dort checken wir aus, denn unser Guide Zee und Fahrer Irca, die uns die nächsten 6 Tage begleiten werden, warten schon auf uns. Wir schildern ihnen die Wäscherei-Misere und fahren gemeinsam noch einmal da vorbei. Immer noch geschlossen, das ist schlecht, denn sämtliche "Outdoor-Klamotten" sind drin im Laden. Also versucht der Guide eine Stunde lang, unter der angegebenen Telefonnummer jemanden zu erreichen. Irgendwann hat er Glück, spricht mit der Chefin, die aber unerklärlicherweise keinen Schlüssel hat. Die beiden Angestellten bleiben verschollen, sind "wahrscheinlich betrunken", das käme öfter vor. Nach ewigem Hin und Her brechen wir um halb zwölf ohne frische Wäsche endlich auf; jemand aus der Reiseagentur wird sein Glück im Lauf des Tages noch einmal versuchen und unsere Kleidung dann im Jurtencamp Delger hinterlegen, das wir in zwei Tagen erreichen werden...

Zee spricht davon, dass wir gegen 16 Uhr die ehemalige Hauptstadt Kharakhorum, gut 350 km westlich von Ulan Bator gelegen, erreichen werden. Die ersten paar Stunden Autofahrt im Minivan gehen denn auch zügig voran, die Landstraße ist halbwegs ordentlich geteert, es ist kaum Verkehr. Kilometerweit sieht man nicht als Grassteppe, hin und wieder Viehherden, vereinzelte Jurten, sonst: nichts. Kein Baum, kein Strauch, kein Schatten. Und das bei bald 30 Grad, Sonnenschein, wolkenlosem Himmel - die Mongolei macht ihrem Werbespruch "The country with the blue sky" alle Ehre. Um die Mittagszeit bremst der Fahrer scharf ab, fährt auf die Steppe und hält ein paar Meter von der Straße entfernt, hier machen wir also Mittagspause. Es ist viel zu heiß, also essen wir schnell unsere Sandwiches auf, füttern Titus mit den vom Restaurantbesuch gestern abend vorsorglich eingepackten Spaghetti und fahren weiter.
Es wird ein wenig hügeliger, und immer heißer; wir fahren natürlich ohne Klimaanlage. Am Nachmittag, 250 km sind geschafft, bricht auf einmal die asphaltierte Straße ab, Schlaglöcher in Badewannengröße tun sich auf, die umständlich umfahren werden müssen, und bald ist nur noch Schotterweg zu sehen, und wir werden ordentlich durchgeschüttelt. Dementsprechend brauchen wir für die restlichen Kilometer noch einmal ewig, denn mehr als 30-40 km/h sind nicht drin. Leider hält sich sowohl der Fahrer als auch der Guide mit verlässlichen Zeitangaben zurück, immer wieder ist die Rede von "1 hour". Erst am Abend gestehen sie uns, dass Mongolen aus Aberglaube nie die richtige Reisezeit angeben, damit würde man das Schicksal (Platten, Motorschaden oder ähnliches) nämlich herausfordern.

Ich bin fix und fertig, als wir gegen halb sieben, nach ein paar Verfahrern, endlich auf den Parkplatz des "Munkh Tenger"-Jurtencamps einbiegen. Alle Insassen steigen nach der siebenstündigen Fahrt wie gerädert aus. Alle? Nein. Titus fängt an zu juchzen, sobald er im Kindersitz abgeschnallt wird, winkt begeistert den draußen bereits wartenden Angestellten zu, die uns beim Ausladen helfen wollen, und wirft sich dem erstbesten Mongolen in die Arme, hüpft herum und ist energiegeladen wie eh und je. Tapfer!

Das Camp ist direkt am Rand des Dorfes Kharakhorum gelegen, es besteht aus gut 20 bis 30 Jurten, die innen einigermaßen hübsch mit Laminat und außen mit Betonwegen ausgestattet sind. Es gibt ein Klo- und Duschhäuschen, das jeder Alpenvereinshütte Ehre machen würde, außerdem ein recht großes Restaurant mit Terrasse - also alles ein wenig "urbaner" als unser letzter Jurten-Aufenthalt.


Schon wartet das Abendessen auf uns, wieder einmal bekommt Titus ein vollständiges dreigängiges Menü serviert, von "Kinderportionen" scheint man hier nix zu halten. Zur großen Freude gibt es nach dem Gurken-Tomaten-Salat wieder einmal die mongolische Form der Dumplings, genannt "Bhuuz", wahlweise mit Hackfleisch oder mit Gemüse gefüllt. Interessant finde ich es übrigens, dass es überall auf der Welt eine Form von gefüllten Teigtaschen gibt, seien es Samosas, Pelmenis, Jioazi oder Maultaschen...

Ich brauche dringend ein Bier, und praktischerweise tritt just heute abend im Restaurant noch eine einheimische Musikgruppe auf. 

So bleiben wir gemütlich sitzen und lauschen den fremdartigen Klängen von Pferdekopf-Fiedel, Trommeln, Hackbrett, Zither und dem Kehlkopfgesang der traditionell gekleideten Musiker. Titus sitzt gebannt auf Normans Schoß, gibt keinen Ton von sich und kann den Blick nicht abwenden, vor allem die Tänzerin gefällt ihm sehr gut. 

Um halb zehn dann stecken wir den kleinen Mann endlich ins Bett, während es draußen gerade mal langsam zu dämmern beginnt.

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