8.6.15

Wieder unterwegs

Und schon sitze ich wieder im Zug und rolle auf die mongolische Grenze zu, nach einer sehr unruhigen Nacht und einem anstrengenden Tag davor.
Aber der Reihe nach:

Unseren letzten Abend in Kuzhir haben wir mit dem letzten Dosenbier und einer Folge der Serie "Sherlock" verbracht - eigentlich wollten wir nur ein halbes Stündchen gucken, aber dann war es so spannend, dass wir die ganzen 90 Minuten gucken mussten und dementsprechend später ins Bett kamen als gedacht. Wie immer schlief Titus am Abreisetag bis weit nach halb acht, aber wir hatten ja zum Glück am Vorabend soweit gepackt, dass wir entspannt frühstücken konnten und trotzdem pünktlich um halb zehn am Eingang standen, um auf unseren Bus zu warten.
Dort hatten sich - übrigens bei herrlichstem Wetter, Sonnenschein pur und keine Wolke am Himmel - eine Handvoll Pensionsgäste versammelt, um einem Chinesen zu lauschen, der auf einer Bank saß und ein kleines Konzert auf einer singenden Säge (!) zum besten gab. Titus war davon natürlich sofort fasziniert und hörte konzentriert zu.


Kurz darauf bog ein Sprinter um die Ecke, wir nahmen unsere drei Plätze in der hintersten Sitzreihe ein, und los ging die wilde Fahrt. Gut eine Stunde lang holperten wir im vollbesetzten Auto über die Insel bis hin zur Fähre, die 35 km zogen sich in die Länge, während wir auf unseren Sitzen hin- und hergeschleudert wurden. Titus war recht irritiert, kuschelte sich trotz der steigenden Temperaturen eng an mich und schlief ein. MItten auf offener Strecke hielt unser Fahrer unvermittelt an einer kleinen Gedenkstätte - wieder ein mit Bänder umwickelter Holzpfahl - an, legte dort ein Geldstück ab, und stieg wieder ein, offenbar für die Weiterfahrt nun bestens gerüstet. Wir hatten Glück, und mussten am Fähranleger nur wenige Minuten auf die Überfahrt warten. Wieder am Festland, wartete dort nach ein paar Kilometern asphaltierter Strecke wieder eine reine Sand- und Schotterpiste auf uns, und das Gerüttel ging von vorne los. Wieder klammerte Titus sich ganz fest an mich, und so schwitzten wir beide vor uns hin. Zu diesem Zeitpunkt überlegte ich, ob es ernsthaft eine so gute Idee war, einem kleinen Kind solche Strapazen zuzumuten, denn ich selbst war recht schnell genervt, kämpfte abwechselnd mit Norman immer wieder mit leichter Übelkeit, bis wir zur Mittagszeit endlich einen Stopp an einem kleinen Café mitten in der verlassenen, kargen Landschaft einlegten. Dort endlich konnten wir alle uns ein bisschen Bewegung verschaffen, eine Kleinigkeit essen, die Toilette (eine kleine Holzhütte mit Loch im Boden) aufsuchen, und schon drängte der Fahrer wieder zur Abfahrt.
Titus zog es vor, die nächste Stunde zu verschlafen, in der die karge Landschaft mit den vereinzelten Holzhütten und Kuhherden wieder von dichten Birkenwälder abgelöst wurde, und so erreichten wir bereits um 14 Uhr die Ausläufer von Irkutsk. Innerlich hegten wir die Hoffnung, dass wir nun deutlich früher als wie angekündigt um 16 Uhr unser Ziel, den Busbahnhof, erreichen würden. Doch leider standen wir bereits kurz nach dem Ortsschild im Stau, und obwohl der Fahrer waghalsige Abkürzungen quer über Parkplätze und durch Tankstellen nahm, zog sich das letzte Stück ewig hin. Immerhin wackelte es nun nicht mehr so schlimm...

Um kurz vor vier, nach knapp 6 Stunden im Auto, durften wir dann endlich am Busbahnhof aussteigen und standen mit unseren Gepäckbergen erst einmal ein bisschen ratlos in dem chaotischen Treiben um uns herum. In der folgenden Stunde versuchten wir abwechselnd ein Taxi aufzutreiben, auf die nicht erscheinende Tram zu warten, zu versuchen, in einen vollgestopften Bus einzusteigen und dazwischen immer wieder den urplötzlich auftretenden heftigen Regenschauern auszuweichen. Wir waren sichtlich mürbe, während Titus vollkommen mit sich selbst zufrieden fröhlich in seinem Buggy vor sich hinquietschte, Wildfremden zuwinkte und wieder einmal sehr viel entspannter war als wir. Das einzige Taxi, das immer wieder an uns vorbeifuhr, wurde leider von einem renitenten Fahrer gelenkt, der einen horrenden Preis für die Fahrt zum Bahnhof wollte und davon auch nicht abwich. Also schulterten wir irgendwann genervt unser Gepäck und marschierten los, in der Hoffnung, auf irgendein anderes Taxi zu stoßen - und hatten bereits an der nächsten Straßenecke Glück, gerade als wieder die ersten Regentropfen herunterplatschten.
So standen wir dann endlich gegen 17 Uhr am Hauptbahnhof und konnten unsere Rucksäcke und Koffer in der Gepäckaufbewahrung abgeben, eine Kleinigkeit essen und uns ein wenig sammeln. Unser Zug sollte um 22 Uhr abfahren, wenn auch mal wieder auf den Tickets und auf sämtlichen Anzeigen 17:02 Uhr angegeben war - Moskauer Zeit natürlich!

Also war noch Zeit für einen kleinen Stadtbummel und ein wenig Bewegung, wir hüpften draußen in die scheppernde Tram und fuhren Richtung Stadtzentrum, deckten uns im Supermarkt mit Lebensmitteln für die kommende Zugfahrt ein, denn auf diesem Streckenabschnitt sollte es keinen Restaurantwagen geben, und suchten eine ganze Weile nach einem Restaurant. Schnell waren wir wieder genervt von der schlechten Infrastruktur in Irkutsk - die Gehwege sind voller Löcher, die Bordsteine schier unüberwindlich, im Supermarkt muss man nach Betreten erst einmal diverse Stufen überwinden, ebenso in sämtlichen Cafés und Restaurants - uns ist schleierhaft, wie man das alleine mit Kinderwagen oder gar mit Rollstuhl bewältigen soll?!

Endlich fanden wir eine kleine Pizzeria, wo wir unsere Batterien ein bisschen aufladen konnten, Titus war begeistert von Pasta und Salat und freute sich darüber, endlich mal ein wenig herumspazieren zu können. Schnell hatte er durch seinen Charme die Damen am Nebentisch so becirct, dass er einen Luftballon geschenkt bekam, und auch die beiden Angestellten konnten ihr Glück kaum fassen. Das Mädel löcherte Norman dann noch eine ganze Weile in gebrochenem Englisch, was denn der Grund sei, warum wir Deutschen uns nach Irkutsk verirrt hätten - eine durchaus berechtigte Frage!

Nun war es so langsam Zeit, den Weg zum Bahnhof anzutreten, unterwegs besuchten wir noch eine Apotheke, denn Titus' Windelcreme geht langsam zur Neige, und wir brauchten Nachschub. Wieder mal war auf den dort angebotenen Produkten alles nur auf Russisch vermerkt - an dieser Stelle stellen sich alle Leser nun bitte vor, wie Norman mit vollem Körpereinsatz der Apothekerin begreiflich machte, was wir suchten, mit Erfolg!
Überhaupt muss ich an dieser Stelle betonen, wie ernst Norman seine Elternzeit hier nimmt, er kümmert sich rund um die Uhr um den Sohnemann, manchmal muss ich fast darum kämpfen, auch mal die Fütterung o.ä. übernehmen zu dürfen.

Zurück am Bahnhof herrschte große Verwirrung: zwar bekamen wir heraus, dass unser Zug an Gleis 1 abfahren sollte, doch gab es vom gesamten recht großen Bahnhofsgebäude aus keinerlei Zugang zum Gleis 1. Wir rannten mehrfach hin und her, rätselten hin und her (vielleicht so harry-potter-mäßig durch eine Wand hindurch?) und löcherten die Dame am Infoschalter so lange, bis sie uns deutlich machte, wir sollten uns bitte entspannt hinsetzen, sie würde uns holen lassen, wenn es soweit wäre. Titus hatte währenddessen Bekanntschaft mit anderen Reisenden geschlossen und wurde durch die Gegend gewirbelt und geherzt.

Tatsächlich kam eine halbe Stunde vor Abfahrt ein Bahnmitarbeiter zu uns, schulterte das Gepäck und geleitete uns durch das Büro der Bahnhofsvorsteherin hin zum Gleis. Erst da checkten wir, dass man das Gleis 1 nur erreicht, indem man außen um das ganze Gebäude herumläuft, dort findet sich dann ein Tor und der Zugang zum Gleis - alles natürlich ohne Beschilderung. Nun gut, wir konnten nun den direkten Weg nehmen und standen kurz darauf vor der Provodnitsa, die eingehend unsere Tickets und Pässe studierte und Titus begrüßte.

Beim Einsteigen waren wir sehr angenehm überrascht; dieser Zug ist um Klassen luxuriöser als der vorhergehende, deutlich neuer und besser ausgestattet, mit Fernseher und Leselampen im geräumigeren Abteil, die Betten sind neuer und bequemer, hier könnte man es eine Weile aushalten. Wir bezogen erst einmal schnell unsere Betten, denn Titus war schon sehr müde, und legten ihn schlafen, damit wir in Ruhe auspacken und uns einrichten konnten.

Leider war die erste Nacht trotz sehr ruhiger Fahrt überhaupt nicht erholsam, denn irgendwann kurz vor Mitternacht krähte Titus jämmerlich los, und wir entdeckten ihn nach kurzer Suche auf dem Fußboden - anscheinend hatte er es trotz Auffangnetz geschaft, aus dem Bett zu fallen. 

Daraufhin holte ich ihn zu mir auf die Liege, und konnte natürlich selbst kaum noch schlafen, dafür ist das Klappbett dann doch zu schmal.
Nun ja, irgendwie überstanden wir auch diese Nacht, und verschliefen den langen Zwischenhalt in Ulan-Ude, der Hauptstadt Burjatiens. Ab hier trennen sich die Zugstrecken der Russischen Eisenbahn, es geht entweder ostwärts weiter nach Wladiwostock oder südöstlich Richtung Mongolei und Peking. Nach dem Aufwachen, der Katzenwäsche und dem Instant-Frühstück bestaunten wir die Landschaft - vorbei ist's nun mit Birken, stattdessen Steppe, Berge, Kuhherden, und immer noch seeeehr viel Platz.


Durch Titus schließen wir schnell Bekanntschaft mit den wenigen Mitreisenden, allen voran einem pensionierten englischen Ehepaar, die den Kleinen mit Keksen versorgen und mit denen wir eine Weile plaudern. Währenddessen bewegen wir uns unaufhaltsam auf die Grenze zu, wir sind gespannt, wie das Procedere dort ist...

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