3.6.15

Inselleben auf Olkhon

Nun sitze ich bei einer Tasse grünem Tee im Gemeinschaftsraum, während sich meine Männer auf dem örtlichen Spielplatz vergnügen. Es ist der Nachmittag unseres dritten Inseltages, und so langsam haben wir uns sozusagen "akklimatisiert".
Es ist recht ruhig, da außer uns nur eine Handvoll anderer Gäste auf dem Gelände ist; der Rest des Dorfes Kuzhir ist mehr oder weniger ausgestorben. Anscheinend geht in gut zwei Wochen die Saison hier erst richtig los...

Ein paar Dinge konnten wir trotz des sehr eingeschränkten Angebots doch schon unternehmen. Natürlich stand gestern nach dem Frühstück zuerst einmal ein kleiner Dorfrundgang auf dem Programm. Über staubige Straßen geht es dort hügelauf und -abwärts vorbei an Holzhäusern in allen möglichen Stadien, von gerade noch mitten im Bau bis hin zu völliger Verwesung. Dazwischen lungern überall struppige Hunde, Katzen und auf den Straßen stehen magere Kühe, die an den paar Grasbüscheln rupfen, die in dieser trockenen Umgebung wachsen. Der ganze Ort wirkt wie eine Geisterstadt.

Doch hoch oben auf der Kuppe eines der vielen Sandhügel steht neben der Dorfkirche  und mit tollem Blick über Kuzhir und den See ein nagelneuer und ziemlich toller Spielplatz, der sofort genauestens erkundet werden muss. Titus rutscht begeistert, krabbelt überall herum, klettert auf die Wippe und hat Spaß, wir sind auch hier ganz alleine. 


Während über uns die Möwen kreischen, zieht eine dicke Gewitterwolke heran, und so machen wir uns pünktlich zum Mittagessen und im einsetzenden Regen schnell auf den Rückweg ins Gästehaus. Da wir bei dem Wetter eh nichts unternehmen können, halten wir zu dritt ein langes Nickerchen und spazieren am späten Nachmittag nochmal los, um unsere Rückfahrt zu organisieren und ein wenig Proviant im Supermarkt zu erstehen.
Schließlich statten wir dem Schamananfelsen noch einen Besuch ab und sind wieder einmal erstaunt über die Kargheit der Insel. Es wird wohl auch wenig unternommen, um das bisschen Gras, das hier wächst, vor den offensichtlich häufig ausbrechenden Bränden zu schützen; überall liegen Scherben und Glasflaschen herum, und die Inselbewohner heizen mit ihren Autos auch kreuz und quer auf den nachwachsenden Grassoden herum...

Der Schamanenfelsen selbst darf nicht betreten werden, aber vom der Steilküste davor hat man einen schönen Blick auf die vielen im Wind flatternden Stoffbänder, die an jedem Ast angebunden sind. Leider sind wir von der Aussicht auf das nahende Abendessen so abgelenkt, dass wir von den angeblich mysthischen Kräften hier nichts erspüren.

  
Das Essen ist wieder ganz nach Titus' Geschmack; es gibt Karottensalat, Kartoffeln, Paprikagemüse und zum Nachtisch Apfelkuchen, und diesmal sind wir so schlau, gleich eine Portion davon für das morgigen Mittagessen abzufüllen. Titus unterhält mit seinem Geschrei den ganzen Raum, irgendwie ist er heute sehr ungestüm, kaum hat er genug vom Essen, wirft er in hohem Bogen jede Karottenscheibe und jedes Stückchen Paprika einzeln in hohem Bogen von sich und gebärdet sich wie wild. Ob das ein Vorgeschmack auf kommende Trotzphasen ist?

Kaum liegt er aber im Bett, schläft er friedlich, so dass wir den Tag bei einem Bier und ein paar Serien-Folgen ausklingen lassen. Allerdings ist die Nacht kurz, denn bereits um halb 6 ist Titus hellwach und will unbedingt eine gute Stunde lang im Bett spielen und auf mir herumturnen, bis er dann doch nochmal für ein Stündchen die Augen zumacht.
Kaum sitzen wir dann um 9 Uhr beim Frühstück, kann er es vor lauter Hunger kaum erwarten, bis ich seinen Frühstücks-Porridge angewärmt und richtig temperiert habe, und erheitert mit seinen "Hmmm, hmmm"-Rufen die Köchin ungemein! Nachdem der erste Hunger gestillt ist, veranstaltet er wie immer ein Marmeladenbrot-Massaker, aber er beschäftigt ist und wir in Ruhe frühstücken können, ist das schon in Ordnung.

Eine Weile beobachten wir das Wetter, wieder wechseln sich Flecken mit blauem Himmel und schwarze Wolken ab, doch gegen halb elf wagen wir den Aufbruch und wandern gut 90 Minuten lang zum Richtung Inselmittel auf einem Hügel gelegenen Aussichtspunkt. Titus schläft, auf meinen Rücken geschnallt, friedlich, während wir auf Sandwegen durch einen Kiefernwald spazieren, ein bisschen sieht es hier so aus wie in Süditalien - dazu passt auch der überall herumliegende Müll... Oben angekommen, schlägt das Wetter doch tatsächlich um, es ist sehr windig und beginnt zu regnen, so dass wir die Aussicht nur kurz genießen und uns schnell wieder auf den Rückweg machen. Hübsch ist es trotzdem hier, und wieder völlig menschenleer.

Wir schaffen es, wieder zur Mittagszeit im Gästehaus zurück zu sein, und nach einer kurzen Erholungspause machen wir uns uns diesmal mit dem Kinderwagen auf, um die Tickets für unsere Busfahrt zurück nach Irkutsk am Samstag zu kaufen. Wir hoffen mal, dass wir die Dame im Verkaufsbüro hinsichtlich Abfahrtszeit und Organisation richtig verstanden haben, denn diese spricht nur Russisch, aber zumindest Titus' Namen und Alter konnten wir ihr verraten, das war eh das wichtigste für sie. Da meine Männer eben dem besagten Spielplatz noch einen Besuch abstatten wollten, habe ich nun ein bisschen "frei", wie schön!

1 Kommentar:

  1. Anonym4.6.15

    Deine Reiseberichte lesen sich toll! Es muss nichts beschönigt werden, denn allein die Authentizität macht Land und Leute besuchenswert. Und die Fotos zeigen die karge Schönheit auch gut. Bin gespannt, wie es bei euch weitergeht. Alles Liebe, Dajana

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