26.6.15

Letzte Zugetappe und Ausreise

An unserem letzten Tag in Ulan Bator fällt uns am späten Nachmittag, nach einer Runde Skype mit den Großeltern und der lästigen Packerei, ein, dass wir noch gar keine Vorräte für die Zugfahrt eingekauft haben. Also spurten wir los und suchen uns durch mehrere kleinere Supermärkte, leider erfolglos, denn wir brauchen H-Milch und vegetarische Nudelsnacks. Da wir nun eh schon so weit gelaufen sind, kehren wir zum Abendessen ins "Dschingis Khan Brauhaus" ein. Diese Gaststube gehört zur gleichnamigen Brauerei, die unter deutscher Leitung ganz ordentliches Bier macht - und die Gaststube versucht auf recht amüsante Art und Weise, ein typisch bayerisches Gasthaus zu imitieren. Die Möbel sind aus dunklem Holz, es gibt Bänke und karierte Tischdecken, auf der Karte stehen "Schweinsbraten" und "german wurst" und die Kellnerinnen trage eine Art Tracht. Nur die Musik, so eine Art 90er-Jahre-Disco-Pop passt nicht ins Bild.
 
Titus ist sofort auf und davon mit den dirndltragenden Kellnerinnen, und steht bald tanzend vor dem DJ-Pult (an seinem Musikgeschmack müssen wir wohl noch arbeiten). Wir bestellen die einzigen beiden fleischlosen Gerichte (Kartoffelsalat und gemischter Salat) und trinken ein Bier dazu. Nach der kleinen Stärkung düsen wir wohl oder übel nochmal ins riesige State Department-Kaufhaus, wo wir endlich das Gesuchte finden (wenn gleich es auf zwei kompletten deckenhohen Regalen voller Fertig-Nudelgerichte genau zwei Sorten ohne Fleischbeigabe gibt). 
 
Die Nacht ist leider relativ kurz, um 6 Uhr soll der Wecker klingeln, Titus wacht genau 2 Minuten davor auf und ist putzmunter. Wir packen die restlichen Sachen zusammen, nehmen noch eine warme Dusche, sammeln beim Frühstücksbuffet noch Joghurts und Gurkenscheiben für Titus als Proviant ein, und schon steht unser Abholservice unten an der Rezeption. Ein wenig herrscht Chaos, da zeitgleich eine gut 30köpfige französische Reisegruppe auscheckt, doch schon sitzen wir im Bus zum Bahnhof.

Dort steht bereits der aus sehr vielen Wagons bestehende Zug bereit, außer uns steigen ausschließlich Touristen zu (auch die vorhin erwähnte Reisegruppe natürlich), und diesmal wirft der chinesische Schaffner nur einen kurzen Blick auf unser Ticket und will noch nicht einmal den Reisepass sehen.
Leider wird meine Erwartung an die letzte Zugunterkunft nicht ganz erfüllt; für diese Etappe hatten wir ein Erste-Klasse-Abteil gebucht. Leider ist dieses exakt genauso groß wie das in der 2. Klasse, hier sind allerdings nur zwei - genauso breite - Liegen übereinander angebracht, und alles ist in geschmackvollem roten Samt gehalten und hat schon einige Jahre auf dem Buckel. Dort, wo sonst die anderen beiden Liegen sind, befindet sich nur noch ein kleiner Sitzplatz, ein Einbauschrank und eine Dusche, die man sich mit dem Nachbarabteil teilt. Aus dem Wasserhahn dort tröpfelt allerdings nur ein dünnes Rinnsal, das höchstens zum Zähneputzen reicht, duschen kann man damit sicher nicht. Die Toilette ist wieder immer am Ende des Wagons separat.
 
Wir fahren pünktlich um 8 Uhr ab, und Titus macht sich sofort mit den französischen Rentnern im Wagon und den beiden chinesischen Schaffner bekannt. Bei letzteren darf er im Abteil einmal auf alle Schaltknöpfe drücken und mit dem großen Schlüsselbund rasseln und wird wieder einmal reihum geknuddelt. 
Kaum haben wir Ulan Bator hinter uns gelassen, sind draußen nur noch flache Landschaft, gelbe Grasbüschel und Sand zu sehen - wir durchqueren 12 Stunden lang die Wüste Gobi. Hin und wieder steht einsam eine Jurte oder ein Motorrad in der Gegend, Norman entdeckt noch das ein oder andere Kamel, und sonst: nichts.

So rattern wir dahin, die Temperaturen im Wagon steigen stetig an, und zu Mittag wird es trotz des Ventilators im Abteil schier unerträglich. Titus verputzt ungerührt und verschwitzt mittags seine Nudelportion und marschiert fleißig und mehr und mehr alleine den Gang auf und ab. Um 14 Uhr, beim 40minütigen Aufenthalt in Sainshand, drängen sich alle ausgestiegenen Passagiere im Schatten des Bahnhofsgebäudes, und die Händler, die Eis im Angebot haben, machen ein gutes Geschäft. Wir haben dafür leider kein mongolisches Geld mehr...
Zum Glück gibt es diesmal wieder einen Restaurant-Wagon, und der Kellner dort nimmt von Dollars, Rubel, Euro, Yuan und Tögrök jegliche Währung an. Also kehren wir zum Abendessen dort ein, Norman und ich sehnen uns nach einem kalten Bier. Leider hat's im typisch mit chinesischem Kitsch eingerichteten Bordrestaurant ungefähr 40 Grad, die Sonne scheint ungehindert hinein, und das Bier ist innerhalb von 10 Minuten lauwarm. Außerdem gibt's auf der Karte nur ein Schnitzel-Menü für freche 23 Dollar! Das bestellt Norman dann trotzdem, denn immerhin bekommt Titus davon den Salat und die Gemüsebeilage, während ich nochmal einen Nudelsnack zubereite, mhmmm!
 
Ich bin gar gekocht, als wir danach ins Abteil zurückkehren - und dort funktioniert urplötzlich die Klimaanlage und es wird herrlich kühl! Leider nicht allzu lange, denn um 19:30 Uhr erreichen wir die mongolische Grenze in Zamin-Uud. Ganze 2 Stunden dauert das Procedere der Ausreise, wieder einmal werden alle Pässe eingesammelt, dann passiert lange nichts, und irgendwann kommen die Pässe mit Stempel versehen zurück. Aussteigen ist währenddessen natürlich strikt untersagt.
 
Dann geht die Fahrt weiter, allerdings wieder nur ein paar Kilometer, bis nach Erlian in China. Wir versuchen auf der Strecke, Titus zum Einschlafen zu bewegen, doch kaum erreichen wir den Bahnhof gegen 22 Uhr, hockt der kleine Kerl im Schlafanzug am Fenster und muss genauenstens beobachten, wie die Grenzbeamten zusteigen. Nun gut, so genau, wie uns der Grenzer kontrolliert, hätten wir Titus eh wecken müssen - wir müssen unsere Namen und Geburtsdaten aufsagen, er prüft genauestens, ob wir denn auch die Person auf dem Passfoto sind (bei Titus' Babyfoto von August letzten Jahres und der Größenangabe im Pass ist das eh Quatsch). Dann verschwindet er mit allen Pässen, und Titus schläft endlich ein.
 
Ich bin zwar auch müde, doch ist für uns an Schlaf nicht zu denken. Absurderweise hat nämlich China eine andere Gleisbreite als zB Russland oder die Mongolei. Deshalb müssen alle Züge hier an der Grenze auf das andere Gleismaß angepasst werden. Doch statt einen Zugwechsel zu machen, werden die Wagons mitsamt Passagieren an Bord in einem höchst komplizierten und aufwändigen Verfahren auf einer Art Hebebühne gut 1 m hochgehoben, um dann darunter die Fahrgestelle auszutauschen. Das ist zwar interessant anzuschauen, dauert aber bei etwa 20 Wagons inklusive Rangieren einige Stunden, während denen es permanent heftig ruckelt und rummst. Und die Klimaanlage funktioniert währenddessen natürlich auch nicht!
Gegen Mitternacht legen Norman und ich uns schlafen, er quetscht sich neben Titus auf die untere schmale Liege, während ich nach oben klettere. Endlich bekommen wir unsere Pässe zurück, und gegen 2 Uhr geht die Fahrt weiter; wieder einmal hat der Grenzübertritt mehr als 6 Stunden gedauert.

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