28.6.15

Tian'amen-Platz und Verbotene Stadt

Momentan sitze ich auf der wunderschönen Dachterrasse unseres entzückenden Hotels, während die beiden Männer in unserem Zimmer eine Spielrunde einlegen. Es ist kurz 17 Uhr und es hat immer noch fast 30 Grad, von der Sonne war in den letzten beiden Tagen allerdings nur ein heller Kreis hinter dichten Smogwolken zu sehen. Das diesige Licht ist trotzdem ganz schön intensiv und die Hitze auch recht anstrengend, zum Glück gibt es hier fast überall Klimaanlagen.
 
Der Tag gestern war ganz schön anstrengend, nicht nur durch die Hitze. Zwar konnten wir zu dritt im großen, frisch bezogenen Bett wunderbar schlafen, auch das Frühstück im Hotel war sehr fein, aber die Menschenmassen, die uns bei unseren Ausflüge heute begegnet sind, sind noch ganz schön ungewohnt für uns.
Am Vormittag fahren wir zunächst einmal wieder mit der U-Bahn zum Tian'amen-Platz. In der U-Bahn wurde Titus gleich mehrfach fotografiert, erstaunlicherweise sind vor allem Teenager und junge Chinesen völlig außer Rand und Band, wenn sie den kleinen Mann sehen, und so mussten wir mehrere Fotoshootings über uns ergehen lassen. Ob's wohl an den Öhrchen liegt? Große Ohren gelten in China nämlich als Glückssymbol...
Je näher wir dem Platz des Himmlischen Friedens kommen, umso voller wird es - stimmt, heute ist ja Samstag, und halb Peking macht Familienausflüge. Also stehen wir mit etwa einer Million Chinesen auf diesem Platz von gigantischem Ausmaß, es ist heiß, keinerlei Sitzmöglichkeiten sind zu sehen, die Gebäude sind im schönsten Sowjetstyle und ebenso riesig und protzig. 
Möglicherweise muss man Fan des hiesigen Regimes sein, um dieser Sehenswürdigkeit gegenüber Begeisterung aufbringen zu können; zumindest die Chinesen fotografieren begeistert, nehmen jubelnd an Führungen teil und stehen geduldig stundenlang in der Schlange vor dem Mao-Mausoleum. Wir begnügen uns mit einer kurzen Runde auf diesem Platz, der erstaunlich große Ähnlichkeit mit dem Roten Platz in Moskau hat, obwohl fast 9.000 km dazwischen liegen.
 
Die Mittagszeit naht, und nach der Erfahrung von gestern mit der stundenlangen Restaurantsuche machen wir uns diesmal zügig auf Richtung Fressmeile. Eine U-Bahn-Station später stehen wir beim Aussteigen direkt in einer riesigen, eleganten Shopping-Mall, die eins zu eins so auch bei uns zu finden sein könnte. Hier kehren wir in einen Imbiss ein, es gibt einen Auberginen-Eintopf und eine Gemüseplatte, zum Nachtisch noch einen Erdbeer-Joghurt-Smoothie, damit sind alle Beteiligten hochzufrieden. Titus wird wieder einmal begehrtes Fotoobjekt der Umsitzenden, so langsam hat er aber kapiert, dass er mit gezieltem Winken, Juchzen und niedlichem Herumlaufen noch mehr Aufmerksamkeit bekommen kann, und nutzt das schamlos aus, da er meistens so auch noch irgendwelche Geschenke erobert.
 
Gestärkt machen wir uns auf zur nächsten Sightseeing-Runde, zurück geht's mit der U-Bahn zum Tian'amen-Platz, doch diesmal steigen wir nordwärts aus und wollen die "Verbotene Stadt" besuchen. Alleine in der Schlange vor dem Security-Check stehen wir eine Viertelstunde, um uns herum wird schamlos gedrängelt und geschoben, hier muss man schon die Ellenbogen auspacken, um zu seinem Recht zu kommen.
Nach einem Spaziergang durch den erstaunlich ruhigen Park östlich vom Kaiserpalast, der bereits mit unzähligen Tempeln aufwartet (vor denen Unmengen Hochzeitspaare Schlange stehen, um sich dort fotografieren zu lassen), gelangen wir zum Haupteingang der "Forbidden City". Hier haben sich Tausende und Abertausende Menschen versammelt, Touristen und hauptsächlich Chinesen, die alle dieses gigantischen Palastkomplex besichtigen wollen. Norman stellt sich geduldig in die Schlange des Ticketverkaufs, der mit 30 Schaltern (!) aufwartet, an, und kommt leider nach einer Weile mit nur einem Ticket zurück. Eine Eintrittskarte bekommt man nämlich nur nach Vorzeigen eines Ausweises, und ich habe heute keinerlei Papiere mitgenommen. 
Tja, dann muss Norman eben alle die Besichtigung antreten und ich hole das in den nächsten Tagen nach. Ich spaziere derweil mit dem tief und fest im Kinderwagen schlafenden Titus außen um die Anlage herum. Ist wohl gar nicht so schlimm, mit Kinderwagen wäre es wahrscheinlich eh recht mühsam gewesen, sich über die vielen Treppen, Türschwellen und durch die Menschenmassen zu kämpfen. Ich lasse mir Zeit, schlendere im Schatten der westlichen Palastmauer gemütlich dahin und erreiche nach über 40 Minuten Fußmarsch endlich den Nordausgang. Hier strömen mir wieder endlose Ströme von Chinesen entgegen, es ist ein Trubel wie in der Fußgängerzone am letzten Adventssamstag, nur hat es hier immer noch fast 30 Grad, auch ohne, dass die Sonne durch den Dunst zu sehen ist.
Als Titus aufwacht und ich ihm einen Apfel schäle, scharen sich flugs wieder zehn kreischende chinesische Teenager um uns und kommentieren jeden Biss von ihm begeistert. So findet Norman uns dann auch vor, und wir sind uns einig: nun reicht's langsam. Also besteigen wir den nächstbesten Bus Richtung Hotel - auch hier wieder ist das System selbst für Unkundige einfach zu durchschauen. Wir haben inzwischen eine aufladbare Fahrkarte, die bei jedem Einsteigen in Bus oder Metro über einen Scanner gezogen wird, beim Aussteigen dann ebenso, hier wird dann der Betrag für die gefahrenen Strecke abgebucht. Das ist quasi idiotensicher.
 
An der Haltestelle, an der wir aussteigen, befindet sich direkt ein großer Supermarkt, und so nutzen wir die Gelegenheit, um noch ein wenig Milch und Obst zu kaufen. Norman ist drinnen schier nicht zu halten und begeistert sich für die seltsamen Produkte, die hier angeboten werden - uns unbekanntes Obst und Gemüse, Unmengen an getrocknetem Fisch und Fleisch, Chips in irren Geschmacksrichtungen (Gurke! Gegrillter Tintenfisch!), ganze Regale voll Reisschnaps und natürlich große Aquarien mit lebenden Fischen. Immerhin finden wir auch hier Joghurt für Titus.
Nun endlich kehren wir zurück ins Hotel, und draußen fällt mir wieder auf, dass immens viele chinesische Männer hier mit hochgezogenen T-Shirts herumlaufen und ihre nackte Plauze vorführen. Klar, es ist heiß, aber muss das sein?!?
Im Hotel machen wir uns einen ruhigen Nachmittag, das ist bestimmt auch für Titus gut, denn der ganze Trubel soll ihm nicht zuviel werden.
Am Abend machen wir uns dann nur noch auf den Weg zum Essen, diesmal suchen wir ein anderes vegetarisches Restaurant, das nur ein paar hundert Meter entfernt liegen soll. Wir spazieren durch das nette Hutong-Viertel, bestaunen die alten, kleinen, zum Teil baufälligen, zum Teil schön renovierten Häuschen und Büdchen, biegen um zwei Ecken - und stehen mitten im Pekinger Finanzdistrikt an einer 7spurigen Schnellstraße, umgeben von glasverkleideten, ultramodernen Hochhäusern, schicken Cafés, Restaurants und Banken. So nah liegen also die Gegensätze hier beieinander!
 
Leider finden wir auch diesmal nicht das gesuchte Lokal, obwohl wir mit Karten und Restaurantnamen bestens gerüstet sind - aber zumindest reiht sich hier ein "westliches" Restaurant an das nächste, und wir kehren in einen nobel aussehnden Thai-Imbiss ein, da es bereits dunkel wird (hier, gut 1.500 km südlich von Ulan-Bator, dämmert es wieder deutlich früher). Die Speisekarte ist selbstverständlich Englisch, die Preise für chinesische Verhältnisse ziemlich happig, aber das Esen ist fein, und Titus erweist sich als großer Fan von Tofu, Reis und komischen grünen Algen.
Als Norman nach dem Essen mit ihm noch draußen auf dem Gehweg herumspaziert, wird leider das Restaurant komplett lahmgelegt, da sich alle 6 Kellner inkl. Oberkellner um ihn versammeln, von Titus' Gehversuchen Videos machen und ihn auch mal an die Hand nehmen wollen. Wir rätseln beim Heimweg lange, warum hier alle so ausflippen. Liegt's an der Ein-Kind-Politik? Oder daran, dass einfach kaum "Westler" in Peking zu sehen sind?
Nach zehn Minuten Fußweg stehen wir wieder in "unserem" Hutong-Viertel und sind zurück im Hotel, ich kann es immer noch kaum fassen, dass nur 300 m entfernt ein ganz anderes China zu finden ist. Darauf trinken wir ein kaltes Bier, das Norman wild gestikulierend im Imbiss schräg gegenüber erstanden hat, und schauen noch eine Folge "Sherlock" auf dem Laptop, während Titus mit der Spieluhr in der Hand fest schläft.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen