22.8.12

Schnee am Kilimandscharo (21.08.2012)

Um 0:10 Uhr kommt der Weckruf: "Tea is ready!" Beim Anziehen merke ich, was ich schon die Nacht ueber befuerchtet habe: mein Magen rumort. Aber vielleicht ist es nur die Aufregung?! Zum "Fruehstueck" serviert Lazaro uns heissen Porridge und Kaffee, die Stimmung ist durchaus angespannt. Als jeder sich bis zur Nasenspitze eingemummelt und mit Stirnlampe praepariert hat, marschieren wir zu viert (Norman und ich, Diglan und einer der Traeger, falls einer von uns absteigen muss) Punkt 1 Uhr unterm Sternenhimmel los.
Nun folgen die wohl anstrengendsten fuenf Stunden meines Lebens. Wir steigen in quasi Zeitlupfe (einatmen: Schritt / ausatmen: Schritt) zunaechst 1.200 m auf, von der Umgebung ist natuerlich in der Dunkelheit ueberhaupt nichts zu sehen, und so bleibt der Blick stoisch auf den steinigen, steilen Weg gerichtet. Hin und wieder blicke ich doch auf und sehe links und rechts von uns gelbe Lichter. Wie nett, denke ich, da hat jemand den Weg wenigstens ein bisschen markiert. Aber warum so weit weg? Nach den naechsten 100 Hoehenmetern faellt mir ein, dass es bei einem so solitaer stehenden Vulkan wie dem Kilimandscharo kein "links und rechts" gibt, und stelle fest: die vermeintlichen Laempchen sind Sterne. Soviel zu meiner geistigen Verfassung.
Wie ein Roboter setze ich einen Schritt vor den anderen, mit Pausen koennen wir uns nicht aufhalten, denn es ist schweinekalt, und trotz sieben Kleidungsschichten, Muetze, Schal, bis auf die Nasenspitze verpackt (die unaufhoerlich laueft, es ist aber viel zu kalt, um Handschuhe auszuziehen und ein Taschentuch rauszuholen), frieren wir beim Stehenbleiben sofort, so dass nur kurze Verschnauf- und Trinkpausen moeglich sind.
Wir sind natuerlich nicht alleine beim Aufstieg, die anderen Gruppen sind, deutlich durch die Stirnlampen zu sehen, auf den ganzen Hang verteilt. Wir lassen die meisten hinter uns, ein Ueberholmanoever geht nur im Schneckentempo. Die ersten steigen ab, am Wegrand stehen ein paar und uebergeben sich - wenn ich nicht Angst vor dem steilen, steinigen Abstieg in der Dunkelheit und der Aussicht auf einen eiskalten Schlafsack haette, wuerde ich wohl auch umkehren. Aber so steige ich in Ermangelung von Alternativen weiter auf, jede halbe Stunde, jede 100 Hoehenmeter sind ein Triumph. Ich halte mich daran fest, dass spaetestens ab 6 Uhr die Daemmerung einsetzt und dann mit Sonnenaufgang hoffentlich alles besser wird. Denn nun stuermt es richtig, der Winkd ruettelt an uns und faehrt in jede Ritze. Noch 4 1/2 Stunden, noch 4 Stunden, noch 3 1/2 Sstunden - so geht das in meinem Kopf. Mir ist der Anstieg schlichtweg zu steil, zusammen mit der duennen Luft wird das Ganze immer anstrengender.
Irgendwann fange ich an, mit mir zu handeln: noch 500 Schritte, dann Pause. Noch 100 Schritte, dann Pause. Es ist mucksmaeuschenstill abgesehen vom Windgetoese, jeder kaempft hier still seinen eigenen Kampf. Unser Guide bietet an, mir meinen Rucksack abzunehmen, der mit Wasser und Stoecken sicherlich 5 kg wiegt. Doch ich beschliesse: wenn schon auf den Gipfel, dann nur aus eigener Kraft und mit eigenem Equipment auf dem Ruecken.
Nochmal 100 Schritte, und wir stehen tatsaechlich am Stella Point, dem Kraterrand, auf 5.730 m.
Es ist kurz nach fuenf Uhr, ganz weit hinten am Horizont ist ein erster oranger Lichtstreifen zu sehen. Von hier ist's noch eine knappe Stunde bis zum Gipfel, noch 160 Hoehenmeter sind zu bewaeltigen, das klingt nach einem Klacks, ist aber Schwerstarbeit. Wir sind eigentlich immer noch zu frueh, haben aber keine Chance auf eine Pause, hier tobt der Wind dermassen, dass man teils vom Weg abgedraengt wird, wenn einen eine Boe hinterruecks erwischt. Denn hier oben ist nichts mehr, kein Windschutz weit und breit.
Also wanken wir weiter, Norman nimmt mich bei der Hand, ich moechte gerne sterben. Doch irgendwoher kommt der Wille, trotz grummelndem Magen und totaler Erschoepfung: um Punkt 6 Uhr erreichen wir Uhuru Peak, den hoechsten Punkt Afrikas auf 5.895 Meter.
Norman und ich halten uns ganz fest, ich koennte glatt heulen, finde das dann aber doch zu pathetisch. Nun geht der Kampf ums Foto vor dem Gipfelschild los, zum Glueck sind wir unter den ersten, denn ich bin kurz vor einer Ganzkoerperunterkuehlung und kann dem ganzen momentan gar nichts abgewinnen.
Die Euphorie laesst jedenfalls auf sich warten. Ich fixiere nur den immer breiter werdenden Lichtstreifen und draenge den fotografierenden Norman und die beiden Begleiter zum Abstieg. Sonnenaufgang ist mir grade ziemlich egal.
Der Rueckweg entlang des Kraters ist ein Spaziergang, die sich hinaufkaempfenden Entgegenkommenden sind kein schoener Anblick. Als wir wieder am Stella Point stehen, geht die Sonne auf, und auf einen Schlag ist bis auf den Orkan (alles gut). Der Ausblick, der nur vom 4.500 m hohen Mount Meru unterbrochen wird, ist schier endlos. Rechts von uns erscheint der Gletscher mit meterhohen Eiswaenden. Einzigartig.
Und doch: ich muss mich bewegen, bin total eingefroren, und so machen wir uns an den Abstieg. Das ist ja ueberhaupt die Frechheit - rauf brauchtan fuer 1.300 m mal eben 5 Stunden, und runter gehts in einem Rutsch durch in nicht einmal der Haelfte der Zeit!
Endlich sieht man jetzt im Sonnenschein die Landschaft, durch die wir aufgestiegen sind. Leider wird der Wind immer schlimmer, ich bin erledigt und froh, als wir gegen halb neun unser Lager erreichen, wo wir mit Fruchtsaft empfangen werden.Wir werden ins Bett geschickt, ich falle in komatoesen Schlaf trotz der an unserem Zelt ruettelnden Windboen.

3 Kommentare:

  1. Anonym22.8.12

    Liebe Nadine,
    ich bin so stolz auf euch! Kann das Ganze sehr gut nachfühlen, auch wenn ich "nur" auf den MT Meru gestiegen bin. Aber ich bin auch nicht in Eurem Training, aber ich hab genau das selbe gedacht auf dem Gipfel ;p

    LG
    Bianca

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    1. Anonym29.8.12

      Liebe Bianca, danke fuer die lieben Worte!!! Du warst auf dem Mount Meru? Wusste ich gar nicht! Muessen uns also unbedingt mal wieder treffen, ja?
      LG
      Nadine

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  2. Anonym23.8.12

    Ihr Lieben, ihr seid verrückt!!!! Aber ich bin maßlos beeindruckt und freu mich für euch, dass ihr einen grandiosen Augenblick mehr in eurem Leben habt, von dem ihr euren Enkeln erzählen werdet. Ganz, ganz viel Spaß weiterhin, ihr tapferen Kletterer. Laura und die Henkels

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