1.9.12

Mathare (31.08.2012)

Heute ist es soweit, Norman fliegt abends nach Hause... Deshalb ist morgens erst einmal grosse (Um-)Packerei angesagt, denn netterweise nimmt er von mir ein paar Sachen schon wieder mit zurueck, die ich nicht mehr brauche, wie (hoffentlich) die Skiunterwaesche.
Trotz gruendlichem Durchsuchen saemtlicher Rucksaecke hat er der doch tatsaechlich einiges an materiellen Verlusten zu beklagen, offenbar sind neben seinem Messer auch noch die Stirnlampe, die Kameratasche (ohne Kamera zum Glueck) sowie diverse T-Shirts abhanden gekommen. Sehr mysterioes.
Nach dem Fruehstueck nehmen wir ein Taxi in die City, die Verhandlungen ueber den Preise sind zaeh. Um 10 Uhr sind wir in der Stadt mit einem der Jungs aus Titus' Hilfsprojekt fuer Slumkinder verabredet, der uns im Folgenden gut zwei Stunden lang als Stadtfuehrer zur Verfuegung steht und uns kreuz und quer durch die Innenstadt fuehrt.
Benard zeigt uns saemtliche wichtigen Bauten, kennt sich gut mit der kenianischen Geschichte aus und erzaehlt uns viel ueber das Leben in Kenia,dazu ist er hoechst interessiert, wie unser Leben im Vergleich dazu in Deutschland aussieht, und so vergeht die Zeit wie im Flug. Jede Strassenueberquerung ist ein echtes Abenteuer, zwar gibt es Ampeln, aber die nimmt keiner so richtig ernst, dazu kommt gerade an den grossen Strassen die Abgase und der Staub, der eh wieder einmal ueber allem liegt.
So sind wir froh, dass uns Benard irgendwann, nach einem kurzen Spaziergang durch das Gedraengel der Riverside Road in einen Bus steckt, in dem er uns nach Mathare bringt. Die (gluecklicherweise kurze) Busfahrt ist voellig verrueckt, ohrenbetaeubende Diskomusik beschallt die Fahrgaeste, die das aber offenbar gewoehnt sind, dazu wird allein durch heftiges Klopfen von aussen gegen die Buswand angezeigt, wenn jemand einsteigen moechte. Auch hier gilt: losgefahren wird erst, wenn der Bus voll ist.
Nach etwa 20 Minuten in dem Fahrzeug bin ich fix und fertig, der Dauerlaerm ist zermuerbend, und ich bin leicht verstoert, als wir aussteigen. Und dann kommt der naechste "Kulturschock", denn Benard fuehrt uns zum Buero der Hilfsorganisation panairobi, die mitten im Mathare-Slum liegt.
Der erste Eindruck auf dem Weg dorthin: es ist zwar schmutzig, und viele Kinder rennen herum, es gibt aber links und rechts viele kleine Kioske, und sieht noch nicht arg viel schlimmer aus als eine typische, etwas heruntergekommene Strasse in einem eher einfachen Viertel. Als wir allerdings den ersten Muellberg ueberqueren muessen, in dem sich die Maden tummeln und der daneben traege vor sich hinfliessende "Bach" fuerchterlich stinkt, ist es nicht mehr so "gewohnt".
Im Buero werden wir erst einmal den Kollegen von Titus sowie den anwesenden Kindern vorgestellt und essen gemeinsam mit den Mitarbeitern zu Mittag. Derartig gestaerkt, schickt uns Titus, nun mit Benard und Josh, los zur richtgen Slum-"Besichtigung" (nicht ohne vorher Norman zu bitten, die Armbanduhr abzunehmen und wenn moeglich, auch unsere Eheringe). Die beiden ueberaus sympathischen Jungs nehmen ihre Aufgabe sehr ernst und versuchen uns, einen tiefen Einblick ins das Leben eines Slumbewohners zu geben. Sie fuehren uns ueber Muellberge, durch schmutzige Abwasserlaeufe, immer entlang von Wellblechhuetten tiefer hinein in die winzigen Gassen und Durchgaenge, bis hinein in ihre eigenen Behausungen. Josh lebt mit seiner Mutter und 5 Geschwistern in einem max. 4 Quadratmeter grossen Verschlag ohne Tageslicht, immerhin gibt es (illegal angezapften) Strom und einen Fernseher, aber natuerlich weder Kueche noch Bad - bis zu 100 Menschen teilen sich hier ein Klo, fuer dessen Benutzung auch noch bezahlt werden muss. Benard hat seine Behausung so gut es seinen Moeglichkeiten entspricht eingerichtet, es gibt ein Bett, einen Tisch und auch einen Fernseher, die Waende sind mit alten, zerrissenen Spitzendeckchen dekoriert. An der Decke haengen innen alte Rupfensaecke, um die unertraegliche Hitzeentwicklung unter den Wellblechdaechern ein wenig zun mindern. Doch die illegalen Stromanschluesse verursachen haeufig Kurzschluesse, und durch diese Saecke geht schnell alles lichterloh in Flammen auf, was wohl recht oft passiert, die Jungs haben das beide schon mehrfach erlebt. Jede Wohnung, fuer die auch noch umgerechnet 15 Euro Miete monatlich bezahlt werden muss, ist nur durch eine Pappwand von der naechsten abgegrenzt, Privatsphaere gibt es hier nicht, weit ueber eine Halbe Million Menschen lebt hier.
Norman und ich werden immer stiller, waehrend wir ueberall von Kindern (so viele - wohin man schaut, Horden von Kindern) begruesst und umringt werden, und fuehlen uns ganz schlecht, wenn unsere beiden Fuehrer fragen, wie wir denn so wohnen und ob es in Deutschland auch Slums gibt. Mir geht irgendwann der Gedanke durch den Kopf: Egal, was in meinem Leben schiefgehen sollte - so schlimm kann's mir niemals gehen.
Die beiden Jungs auf jeden Fall wurden durch das Hilfsprojekt weg von der Strasse und dem damit verbundenen Drogenkonsum geholt, haben eine Schulbildung erhalten und hoffen nun auf einen Job, doch das ist wohl als Slum-Bewohner nicht so einfach, denn auch hier geht alles nur ueber Bestechung, und soviel Geld hat hier keiner. Es ist ein Leben ohne Perspektive.
Nach zwei Stunden sind wir - auch durch die Hitze und das viele Herumlaufen - fix und fertig, soviele Eindruecke muessen erst einmal verarbeitet werden. So fahren wir mit dem Taxi zurueck zu unserem Hostel und besprechen erst einmal in Ruhe und ausfuehrlich den heutigen Tag sozusagen zur Nachbereitung. Nach zwei Bier und ein paar Runden Romme ist es dann soweit, Normans Taxi ist da, und um 20 Uhr verabschieden wir uns. So schnell sind vier Wochen und damit auch offiziell unsere Flitterwochen vorbei, und soviel haben wir erlebt!
Um nicht im Einsamkeitsblues zu versinken, kuschle ich mich mit Knabberkram und einem spannenden Krimi ins Bett und lese bis zum Einschlafen.

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